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22

Seit 22 Jahren treten wir auf der Stelle.

Um diesen Satz allgemein verständlich zu machen, müssen wir zunächst
einmal ein paar Dinge definieren. Nämlich: Wer oder was ist "wir"? Warum
seit 22 Jahren? Und was versteht man in diesem Zusammenhang unter "auf
der Stelle treten"?

Erstens:

Mein persönliches "wir" ist ein relativ kleiner Kreis von Menschen:
Zweitausend, dreitausend oder viertausend, einfach mal grob geschätzt.
Davon kenne ich ein paar Dutzend näher. Ein paar hundert kenne ich vom
Sehen oder flüchtigen Begegnungen, und beim Rest kann mit einem gewissen
Maß an Wahrscheinlichkeit vermuten, daß und in welchem Maße sie mit mir
politische, weltanschauliche, aber auch strategische und taktische
Übereinstimmungen haben.

Aber wie es in der Psychologie außer dem individuellen Ich auch ein
"Über-Ich" gibt (und das in ein und dem selben Kopf!), gibt es für mich
auch eine Art "erweitertes wir". Das definiere ich einmal ganz grob so:
Alles, was rechts von den Unionsparteien steht. Ein paar zigtausend
Menschen, möglicherweise auch gerade oberhalb der sechsstelligen Zahl,
aber nicht weit oberhalb. Damit gemeint sind die, die sich in
irgendeiner Weise auch für diese Gedanken aktiv einsetzen. Die, die sich
rein passiv einsetzen - beispielsweise durch Abgabe ihrer Stimme bei
Wahlen - sind darin nicht eingeschlossen.

Zweitens:

Warum seit 22 Jahren?

Das hat nichts mit Zahlenmagie zu tun, obwohl sich dies
Betrachtungsweise beinahe anbieten würde (Prost, weil es eine
Schnapszahl ist!), da ich jetzt 55 Jahre alt bin und weil mein 33.
Geburtstag ins Jahr 1989 fiel. So eine zahlenmagische (=kabbalistische)
Betrachtungsweise wäre nicht nur den meisten Menschen unserer
Kulturkreises fremd, sie wäre auch ein wenig arg ich-bezogen, soweit ich
sie auf meine Lebensdaten beziehe....

Aber das Jahr 1989 war nun einnmal herausragend; nicht ganz ein
"Jahrhundertjahr", aber eines von mehreren, die es sein könnten.

Das für die breite Masse und weltpolitisch bedeutsame Ereignis war
natürlich der 9. November 1989, der friedliche Volksaufstand in
MItteldeutschland; das, was nur zwei Tage später der britische
Historiker David Irving so bezeichnete: "Ich beglückwünsche das deutsche
Volk zu seinem ersten Sieg seit dem 8. Mai 1945!" - Ähnlich sah es
übrigens ein Mann,der viele Werke von Irving verlegt hat: Der nationale
Verleger und Politiker Dr. Gerhard Frey. Bei der ersten persönlichen
Begegnung, die wir miteinander hatten, sagte er sinngemäß: "Bei allen
Dingen, die für mich unklar waren oder in denen ich geirrt habe, eines
habe ich in der ganzen Zeit meines politisch aktiven Lebens genau
gewußt: die deutsche Teilung kann nicht für ewig sein; sie wird
irgendwann ein Ende finden."

Ich möchte aber in diesem Schicksalsjahr 1989 früher ansetzen: Nämlich
mit dem 30. Januar 1989 und den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin,
der damals noch geteilten Stadt.

Da bekamen überraschend die REPUBLIKANER 7,5 Prozent.

Im Sinne des oben genannten "über-wir", des "Gesamt-wir", war das der
erste ernstzunehmende Erfolg seit 1968. Wobei interessant ist, daß in
dieser Spanne - 1968 bis 1989 - auch fast genau 22 Jahre auf der Stelle
getreten wurde, richtiger gesagt 21 Jahre. (Noch richtiger ein bißchen
weniger als 21 Jahre.)

Okay, es hatte vorher bereits einen Erfolg gegeben, der von
parlamentarischer Auswirkung war: Im Herbst 1987 hatte die DVU mit
gewaltigem Material- bzw. Finanzaufwand in Bremen einen einzelnen
Abgeordneten in die Bürgerschaft schicken können, aufgrund einer
Besonderheit des Bremisch / Bremerhavener Wahlgesetzes. Der Mann hieß
Altermann, und die Medien verspotteten ihn als "den teuersten
Abgeordneten der Republik", weil die Kampagne der DVU, die zu seiner
Wahl geführt hatte, nicht weniger als die Kleinigkeit von ungefähr einer
Million DM gekostet hatte. (Was nach heutiger Kaufkraft deutlich mehr
als eine Million Euro sein dürfte.)

Aber der Volksmund sagt "einer ist keiner", und es ist schon ein
Unterschied, ob man einen Einzelkämpfer in einem Landesparlament hat
oder eine komplette Fraktion, die ganz andere Rechte und Mittel hat.

Der Erfolg der REPUBLIKANER im damaligen West-Berlin war also für die
Geschichte der BRD eine Art Zäsur; nicht so einschneidend wie der Fall
der Mauer deutlich später im gleichen Jahr, aber eben doch ein
herausragendes Ereignis.

In der Mitte des gleichen Jahres waren die Wahlen zum europäischen
Parlament. Und auch da sahnten die REPUBLIKANER mit ungefähr sieben
Prozent ab und schickten eine Gruppe von Abgeordneten nach Brüssel; das
erste Mal in der Geschichte der BRD, daß eine Rechtspartei bei einer
bundesweiten Wahl die fünf-Prozent-Hürde geknackt hat. Und bisher auch
das einzige Mal. Es mag sein, daß die NPD bei der für sie
schicksalhaften Bundestagswahl im Jahre 1969 an absoluten Stimmen mehr
hatte als die REPUBLIKANER genau zwanzig Jahre später bei der
Europa-Wahl. Aber bei Wahlen kommt es halt nicht auf die absoluten,
sondern auf die relativen Stimmen an. Und es mag auch sein, daß kleine,
oppsitionelle bis dissidente Parteien bei Europa-Wahlen sowieso einen
Starvorteil haben, weil der Wähler seine diesbezügliche Stimme weniger
ernst nimmt, als wenn es um die Wahl des Bundesparlaments oder auch nur
eines Landesparlaments geht. All solche Dinge mögen durchaus richtig
sein. Fakt aber bleibt, daß "wir" - im Sinne des "über-wir" - hier
erstmals nach vierzig Jahren auf Bundesebene die mystisch-zahlenmagische
Schwelle von fünf überschritten haben. Und seither auf dieser Ebene
nicht wieder.

Dabei ist egal, daß die NPD greinte, sie sei es doch gewesen, die
zwanzig Jahre lang in aussichtsloser Position die Fahne hochgehalten
habe, die dafür schikaniert und verspottet worden sei. Und dabei ist
egal, daß im Vorfeld dieser Europa-Wahl Dr. Frey elf oder zwölf
Millionen DM investiert hatte und daß ohne den Erfolg der REPUBLIKANER
es wahrscheinlich die DVU gewesen wäre, die mit einer Gruppe in Brüssel
hätte einziehen können. Der Mann der Stunde war halt Franz Schönhuber,
und begünstigt vom Schicksal waren halt seine REPUBLIKANER.

Das blieb ein paar Jahre so. Sie zogen in Baden-Württemberg zweimal in
Folge in den Landtag ein, was vorher die NPD nur einmal geschafft hatte,
bevor sie sich vier Jahre später - 1972 - die Wahlteilnahme von der CU
hatte abkaufen lassen; für mutmaßlich ungefähr eine Million, von der
laut den Rechenschaftsberichten nichts in der Kasse der Partei gelandet
ist, sondern vermutlich eher auf den privaten Konten von Parteioberen.

In Bayern schafften die REPUBLIKANER es nicht ganz, sie scheiterten
knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Und damit verfehlte Franz Schönhuber
persönlich auch das Ziel, das ich ihm unterstellt hatte: Nämlich nach
angemessen langer Zeit sein Leben als Bayerischer Staatsminister a.D. zu
beschließen.

Beinahe tragikomisch war das Wechselspiel zwischen der finanzkräftigen
DVU einerseits und den im Aufwind befindlichen REPUBLIKANERN in meiner
Heimatstadt.

1993 lag die DVU in Meinungsumfragen deutlich vor den REPUBLIKANERN; der
DVU wurden fünf Prozent attestiert, die REPUBLIKANER waren unter ferner
liefen. Aber dann machte der Wahlkampfleiter der DVU den Fehler, ein
paar höchst unkompetente Kandidaten den Medien vorzustellen. Das wurde
in durchaus angemessener Weise verrissen, und obwohl die DVU mit einer
gewaltigen Plakat-Offensive in der Hansestadt rein optisch ungeheuer
präsent war, bekamen die Republikaner mit 4,8 Prozent knapp zu wenig, um
in die Bürgerschaft einzuziehen, während die DVU mit 2,8 Prozent zwar
noch ein achtbares Ergebnis erzielte, aber von der Traummarke geradezu
lichtjahreweit entfernt war.

Vier Jahre später lief es dann umgekehrt: Weil diesmal die DVU ihre
Kandidaten sorgsamerweise nicht vorgestellt hatte, machte sich die
Materialüberlegenheit bemerkbar; mit 4,98 Prozent und nur rund 120
Stimmen zu wenig scheiterte sie am begehrten Einzug ins Landesparlament,
während die REPs mit 1,8 eindeutig zweiter Verlierer waren.

Meine Ex-Frau sagte mir einmal: dir kann niemand im Wege stehen außer du
selbst. Ein Satz, der mich betroffen gemacht hat, weil er nur zu wahr
ist. Sie wußte es; wir waren immerhin sieben Jahre verheiratet, und es
gibt nicht viele Menschen, die mich ähnlich gut kennen wie eine Frau,
mit der ich sieben Jahre lang Tisch und Bett geteilt habe.

So stand sich auch dieses "über-wir" selbst im Wege.

Und bekam die Quittung in Form von Stagnation.

Drittens:

Das ist, was ich mit "auf der Stelle treten" meine.

Dann verschoben sich die Gewichte. Inzwischen hatte es bei den
REPUBLIKANERN Putsch und Gegenputsch gegeben. Auch bei der lange aus dem
Wahlgeschäft ausgschiedenen NPD waren die Dinge in Bewegung gekommen:
Man hatte die alten Unvereinbarkeisbeschlüsse gekippt und eine neue
drei-Säulen-Strategie proklamiert: Den Kampf um die Straße, den Kampf um
die Köpfe, den Kampf um die Parlamente. Zum Kampf um die Straße hatte
man sich mit den radikalsten Kräften verbündet, was eher früher als
später natürlich einen Verbotsantrag gegen die NPD zur Folge hatte, den
diese aber durch ihre Durchsetzung mit V-Männern der Ämter für
Verfasssungsschutz mit mehr Glück als Verstand überstanden hat. Damals -
vor diesem Verbotsantrag - sagte ich gelegentlich: Die DVU hat das Geld,
die REPs haben Reste parlamentarischer Verankerung und das
halb-bürgerliche Renommee der "nicht-ganz-so-Radikalen", und die NPD hat
die manpower auf der Straße.

Diese manpower und ihr zielgerichteter Einsatz führten dazu, daß aus der
eher minoritäten NPD zumindest zeitweilig die bedeutsamste Kraft des
"über-wir" wurde.

2004 war es soweit.

Das "über-wir" war damals nur noch mit einer Fraktion in einem Landtag
vertreten, der der DVU in Brandenburg, die zu dem Zeitpunkt gerade kurz
vorher ein zweites Mal gewählt worden war.

Dann geschahen im Sommer 2004 mehrere Dinge nahezu gleichzeitig.

Durch eine gewaltige Kraftanstrengung, die hauptsächlich das persönliche
Verdienst des langjährigen Multifunktionärs Peter Marx war, bekam die
NPD im kleinsten westdeutschen Bundesland, dem Saarland, beachtliche
vier Prozent Wählerstimmen und kam damit in die Nähe des begehrten
Einzuges in ein Landesparlament.

Auch gab es im Vorfeld der Einführung von Hartz VI
Massendemonstrationen, an denen des nationale Lager mindestens teilweise
beteiligt war und damit eine Stimmung erzeugt wurde, die die NPD in
Sachsen durchaus geschickt zu nutzen wußte.

Für die damaligen Verhältnisse der NPD war diese Partei in Sachsen
ohnehin gut aufgestellt; ein Verdienst von Holger Apfel, der aus dem
Verlag der Partei-Zeitung "Deutsche Stimme" aus der Ausgangsposition
einer kleinen Klitsche einen wirtschaftlich florierenden Betreib zu
machen verstanden hatte.

Eingedenk dieser günstigen Voraussetzungen war der beinahe zweistellige
Erfolg der NPD in Sachsen nicht wirklich überraschend.

Des einen Leid ist des anderen Freud, heißt es; die REPUBLIKANER waren
damit aus dem parlamentarischen Geschäft völlig raus, während sich
zeitweilig die NPD und die DVU jeweils mit einer Fraktion in einem
Landtag auf Augenhöhe gegenüberstanden.

Es war aber letztlich - in Sinne des "über-wir" - nur eine Umschichtung.

Die NPD hatte bei früheren Erfolgen ihrer internen Konkurrenz immer
getönt: deren Fraktionen sind unwirksam; sie zerlegen sich selbst
alsbald. (Was übrigens nach 1998 in Sachsen-Anhalt am besten zu
beobachten war: Dort war die DVU mit sensationellen 12,9 Prozent in den
Landtag eingezogen, aber was dort alsbald passierte, bis hin zum
Absinken unterhalb der für eine Fraktion nötigen Personenstärke, war
schon tragikomisch; beinahe mehr komisch als tragisch.)

Allerdings ging es der NPD in Sachsen nur graduell besser. Von den zwölf
Abgeordneten verblieben der NPD am Schluß der Legislaturperiode gerade
einmal acht; ein Ausfall von einem Drittel.

Aber das hinderte die NPD nicht, bei der Bundestagswahl 2005 erstmals
seit 1969 zumindest über ein Prozent zu kommen; richtiger gesagt sogar
eher mit der Tendenz zu zwei Prozent. (Nämlich 1,6.)

Und es hinderte sie auch nicht daran, im Spätsommer 2006 mit über 7
Prozent in einen zweiten mitteldeutschen Landtag, den von
Mecklenburg-Vorpommern, einzuziehen.

Damit hatte sich im Sinne des "über-wirs" das Gewicht eindeutig
zugunsten der NPD verschoben.

Aber "auf-der-Stelle-Treten" was es trotzdem. Eben einfach nur eine
Verschiebung.

Wenn man es im Sinne dieses "über-wirs" betrachtet, ist es nicht nur ein
auf-der-Stelle treten. Es ist letztlich sogar ein Rückschritt. Nicht in
Mitteldeutschland; da ist die NPD nach wie vor recht dominant. Und
teilweise nur knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde der Zahlenmagie.

Doch aus dieser Perspektive spielt es keine Rolle, wer gerade wie viele
Fraktionen in wie vielen Landtagen hat. Zum Einzug ins Bundesparlament
reicht es auf keinen Fall. das können wir uns ausrechnen, da bleiben
"wir" (im Sinne von "über-wir") bei bestenfalls zwei Prozent hängen. Und
auch die Wahl zum Europa-Parlament bringt nicht mehr. Oder bei späteren
Gelegenheiten höchstens graduell mehr.

Deshalb treten wir, unter dem Strich betrachtet, auf der Stelle. Und das
sind ungefähr 22 Jahren.

Eine echte Perspektive zur Änderung sehe ich nicht.

Kann sich also noch bis zur nächsten Schnapszahl hinziehen.

Dazu kann ich dann nur sagen: Prost!


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