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Seriose Radikalität

(( Dieser Artikel ist gemeinfrei ab dem 21. Februar 2011; Gründe für das Datum siehe Nachschrift))

Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehn!
(Goethe, Faust, Vorspiel auf dem Theater.)


Worte sind mächtig. Manchmal bewirken sie mehr als Taten. Worte sind auch männlich, obwohl "das Wort" in unserer Sprache einen neutralen Artikel hat. Denn es heißt so schön: "Ein Mann, ein Wort!"

Befassen wir uns also mit einem Wort, richtiger mit zweien, wie sie im Titel genannt sind, und mit dem Mann, der sie entweder geprägt hat oder aber - wenn ein anderer als "Ghostthinker" das für ihn gemacht hat - zumindest öffentlich lanciert hat.

Das Schlagwort von der "seriösen Radikalität" dürfte mit dazu beigetragen haben, daß Holger Apfel am 13. November 2011 in einer Kampfabstimmung über seinen Konkurrenten Udo Voigt siegte und damit neuer Parteivorsitzender der NPD wurde. (An einem Tag im Sternzeichen Skorpion, für die, die das interessiert; der Skorpion gilt Astrologen als das tödlichste aller Sternzeichen!)

Schon im "parteiinternen Wahlkampf", der so intern nicht war, weil er auch in öffentlichen Foren ausgefochten wurde, hinterfragten Apfel-Gegner und Kritiker, was man sich denn bitteschön unter "seriöser Radikalität" vorzustellen habe. Eine klare Anwort hierauf gab es nicht. Es blieb also abzuwarten.

Das Warten hat dankenswerterweise ein Ende. Deutschlands beliebtester SPIEGEL brachte in seiner Ausgabe (Druckausgabe) vom 13. Februar 2012 die NPD als Titelstory groß heraus. Auf Seite 35 wird unter der Zwischenüberschrift "Die Hakenkreuz-Partei" ein kurzer Dialog zwischen SPIEGEL und Apfel wiedergegeben. Der übrigens auf Verlangen von Holger Apfel nicht auf Tonband aufgezeichnet werden durfte... Wenn der Artikel nicht mißverständlich formuliert ist, trug Apfel bei der Gelegenheit "einen grauen Mittelklasseanzug von Mishumo" sowie "Socken von Tommy Hilfinger". Vielleicht ist das Seriosität? Ich kann es nicht berurteilen, das Modelabel Mishumo ist mir unbekannt. Aber Tommy Hilfinger ist mir wenigstens ein Begriff. Auch wenn ich bisher nicht wußte, daß es unter diesem Label sogar Socken gibt. Offenbar eine Bildungslücke, die Holger Apfel und der SPIEGEL schließen konnten.

Wichtiger als diese Details war für mich aber der wiedergegebener Kurzdialog.

"Frage: Wie bewerten Sie den Holocaust?
Apfel: Ein Verbrechen."

Das ist seriös! Eindeutig! Es ist geradezu staatstragend, und politisch korrekt ist es ohnehin, also kann es nicht anders als seriös sein. Bundespräsident Wulff, pardon, Ex-Bundespräsident Wulff würde das zu 100 Prozent unterschreiben, sein Nachfolger, wer immer er ist, ebenfalls, Angela Merkel sowieso, jeder Politiker von DIE LINKE bis zum rechten Rand der CSU, der Politiker bleiben möchte, würde zustimmen. Ausgezeichnet! Das ist tausendmal besser als Socken von Tommy Hilfinger, weil die ja auch ein Holocaustleugner oder ein Apologet tragen könnte.

Nun wissen wir also, was seriös ist, aber damit wissen wir noch lange nicht, was Radikalität ist. Holger Apfel läßt uns nicht lange im unklaren. Denn es geht weiter wie folgt:

"Frage: Wer ein Verbrechen befiehlt, ist ein Verbrecher. Ist Adolf Hitler für Sie ein Verbrecher?"
Apfel: Dazu werden Sie von mir keine Aussage bekommen."

Das ist radikal, richtiger gesagt recht radikal, äh, pardon, rechts-radikal. Denn da hätten Herr Wulff und sein Nachfolger, Frau Merkel und all die anderen zweifellos ihre Einwände.

Jetzt wissen wir es also in zehn kurzen Worten. (Noch kürzer hätte Apfel es formulieren können, wenn er nach dem Vorbild von Al Capone auf die zweite Frage nicht mit den acht Worten: "dazu werden Sie von mir keine Aussage bekommen" geantwortet hätte, sondern einfach nur mit "no comment". Oder für Gegner von Anglizismen mit: "Kein Kommentar." Dann hätte er uns sogar mit vier kurzen Worten seriöse Radikalität demonstrieren können.)

Der SPIEGEL wollte es aber genauer wissen, und daher lautete die dritte Frage, an die zweite Antwort anschließend:

"Frage: Warum nicht?
Apfel: Darum nicht."

Jetzt hatte er es voll drauf mit der Kürze und der Würze, jetzt war er zu Höchstform aufgelaufen, auch wenn diese Antwort den einen oder anderen an kindlichen Trotz erinnern mag. Egal. Ist ein Politiker nicht sympathisch, wenn er mit Anfang 40 noch das "innere Kind" herauskommen lassen kann? Ist das nicht ein schöner menschlicher Zug? Ich bin mir nur nicht sicher, ob das eher seriös oder eher radikal wirkt. Vielleicht beides in einem Atemzug. Jedenfalls kommt es gut rüber.

An dieser Stelle angelangt, werden wohl zumindest die NPD-Anhänger unter den Lesern, auf jeden Fall aber die Apfel-Anhänger, den Kopf schütteln und sagen: "Der Worch mal wieder!" Und vielleicht hinzufügen: "Der muß sich einfach wichtig machen." Oder: "Der muß raushängen lassen, daß er ein Spötter ist; warum arbeitet er nicht für TITANIC oder MAD und verdient sich da ehrlich sein Geld?!" Einzelne werden vielleicht auch nur sagen: "Ist doch klar, der Kerl ist ein Parteifeind!"

Neben solchen mehr oder minder qualifizierten Kommentaren wird es allerdings auch welche geben, die sich jetzt sagen: "Okay, so weit, so gut - oder schlecht - , aber jetzt soll der Worch uns doch bitte auch mal erzählen, wie man es seiner Meinung nach richtig machen sollte."

Natürlich. Tue ich gern

Zuerst betrachten wir einmal, was Holger Apfel auf keinen Fall hätte machen dürfen. Nämlich den Holocaust leugnen. Das kostet zunächst Aufhebung der Immunität und dann eine saftige Geldbuße. (Weil er meines Wissens nicht einschlägig vorbestraft ist.) Im Wiederholungsfall ist dann eine Gefängnisstrafe, und sei es auch auf Bewährung, drin. Vom Kopfschütteln in der eigenen Partei mal abgesehen.

Unterhalb der Schwelle echter Leugnung wäre natürlich auch eine Relativierung vorstellbar. Da muß man dann teilweise jedes einzelne Wort auf die Goldwaage legen. Das ist nicht jedermanns Sache. Selbst Leute, die auf ein erfolgreich abgeschlossenes Jura-Studium verweisen können, haben mit der Feinabstimmung da manchmal ihre Probleme.

Auch so etwas wäre nicht empfehlenswert. Meine persönliche Antwort wäre wahrscheinlich kurz und bündig gewesen: "Kein Thema." Oder ein bißchen ausführlicher: "Für mich kein Thema!" Und wenn dann einer nachgefragt hätte, hätte ich möglicherweise gesagt: "Egal, wie interessant die Vergangenheit sein mag, die Gegenwart ist für Menschen, die ich vertreten möchte und die mir ihr Vertrauen schenken, wichtiger, und noch wichtiger ist die Zukunft."

Dann kommt es gar nicht erst dazu, daß man an mich die nächste Frage richtet. Es gibt noch eine Menge mehr Möglichkeiten, dieses permanente und penetrante Herumreiten auf der Vergangenheit abzublocken.

Vor mehr als anderthalb Jahrzehnten sprach mich einmal eine gute Freundin darauf an. Es war ein vier-Augen-Gespräch, und es war eine Frau, der ich die Hilflosigkeit meines Schlafes anvertraute; eine Frau, in deren Gegenwart ich mich trotz paranoider Reflexe in einem öffentlichen Restaurant mit dem Rücken zum Raum setzte, einfach darauf vertrauend, daß sie eine von hinten auf mich zukommende Gefahr frühzeitig wahrnehmen und mich davor warnen würde. Und auch dieser Frau sagte ich sinngemäß: Ich werde dir darauf nicht antworten, weil meine Antwort einen Straftatbestand erfüllen könnte, der mich für lange Monate
oder für ein, zwei Jahre ins Gefängnis bringt. Unabhängig davon, daß ich mich von dir mit verbundenen Augen an der Hand auf einer schmalen Planke über einen tiefen Abgrund führen lassen würde, ist dies mein Prinzip: Solange einige der möglichen Antworten in unserem Land mit Strafe bedroht sind, sage ich dazu nichts. - Und als nächstes forderte ich sie auf, darüber nachzudenken, warum denn einige der möglichen Antworten mit Strafe bedroht seien. Das machte sie sehr nachdenklich. Es überzeugte sie nicht in dem Sinne, in dem ein offen agierender Revisionist sie vielleicht hätte überzeugen können (oder auch nicht), aber es machte sie nachdenklich. Wenn ich aber - egal, ob aus Überzeugung oder aus politischer Opportunität - eine Sachantwort gebe, mit der ich mich politischkorrekt, staatstragend, "seriös" darstellen will, dann darf ich mich nicht wundern, wenn die nächste Frage kommt, die übernächste, die über-übernächste.

Und damit haben wir den Fehler, den Holger Apfel von vornherein gemacht hat.

Steht die Seriosität vor der Radikalität? Oder umgekehrt?! Wenn - und sei es sprachlich abgemildert in abjektivistischer Form - die Seriosität für mich vor der Radikalität steht, dann kann ich eine Frage, bei der ich mich als "seriös", als politisch korrekt, als staatstragend darstellen will, nur beantworten. Und zwar nur in eine Richtung. Dann habe ich die "Enter-Taste" gedrückt und bin in einem Programm, das ich nicht geschrieben habe, von dem wir alle aber wohl wissen, in welche Richtung es letztlich läuft.Wenn ich - umgekehrt - die Radikalität vor die Seriosität stelle, dann bin ich nicht fremdbestimmt, sondern dann habe ich die freie Entscheidung, die "Enter-Taste" nicht zu drücken. Und kein Programm zu aktivieren. Das mich in eine Richtung führt, die ich letztlich nicht mehr bestimmen kann.

Aber mit dem Schlagwort von "radikaler Seriosität", die Radikalität (und sei es adjektivistisch) vor die Seriosität stellend, hätte Holger Apfel im parteiinternen Wahlkampf nicht punkten können. Das zu  begreifen, wäre für die meisten Delegierten einfach zu hoch gewesen.

Damit hat er sich zum Gefangenen seiner selbst gemacht.

Und hat folgerichtig die NPD zu seiner Gefangenen gemacht.

Und weil die meisten Journalisten vom SPIEGEL dem Selfmade-Mann Apfel in der Hinsicht einfach überlegen sind, ist er in ihre Falle hineingetappt. Und hat das Konzept "seriöser Radikalität" diskreditiert.

Und hat sich, wie der SPIEGEL es wenig hintergründig, aber sehr richtig darlegt, in Personalunion zum Chef ZWEIER Parteien gemacht: Der Bürger-NPD, die gesellschaftsfähig herüberkommt, und der Bürgerschreck-NPD, die genau dies nicht tut.

So einen Spagat schafft vielleicht Jean-Claude van Damme in seinen Action-Filmen. Holger Apfel ist dazu körperlich natürlich nicht imstande. Aber auch nicht mental. Er hat "seriöse Radikalität" nicht mit Leben füllen können. Im Gegenteil; er hat einen von ihm geschaffenen (oder propagierten) Begriff abgewürgt. Gekillt.

Erneuerung oder auch nur ernstzunehmende, nachhaltige Impulse sehen anders aus.

((NACHSCHRIFT:
Schon der von mir gewählte Begriff ist NICHT seriös; er könnte von anderen als N.S. abgekürzt werden. Besser wäre gewesen, in bildungsbürgerlicher Weise von "post scriptum" (P.S.) zu sprechen. Aber auch wenn ich einer "seriösen Radikalität" vom Grundsatz her zustimmen würde, so wäre diese erstens eine andere als das, was Holger Apfel uns bisher als solche suggeriert und dargelegt hat, und zweitens bin ich kein NPD-Mitglied und brauche mich darum einfach nicht zu scheren. Bei mir darf es also "Nach-Schrift" heißen, und egal, ob einer daraus N.S. macht oder nicht....

Dieser Artikel ist gemeinfrei in dem Sinne, daß jeder ihn verwenden darf, wie er mag; ich verzichte ausdrücklich auf das mir gesetzlich zustehende Urheberecht. Aber es gibt eine Sperrfrist. Dies hängt damit zusammen, daß es gute politische Sitte ist, einer neuen Regierung eine "Schonfrist" von hundert Tagen zuzubilligen. Für die neue Führung einer Partei muß das nicht zwingend gelten. Aber die NPD ist eine Partei, die in ihrer sektenhaften Geschlossenheit (Abgeschlossenheit) und ihrem Alleinvertretungsanspruch ein "theoretischer Staat in sich" ist. Auf jeden Fall ihrer eigenen Meinung nach den Anspruch hat, nicht nur staatstragend, sondern staatsbestimmend zu sein, und zwar alleinig staatsbestimmend. Es ist daher angemessen, der neuen Führung der NPD ähnliche Privilegien zuzubilligen wie einer neuen Staatsführung, einer neuen Regierung. Da die Neuwahl am 13. November 2011 stattfand - in der dritten Dekade des Skorpions! - , möchte ich die in diesem Artikel vertretenen Ansichten nicht vor Ablauf der hundert-Tage-Frist veröffentlicht sehen.

Der Veröffentlichung gleich steht für mich eine private Weitergabe ohne Hinweis auf die strikte Sperrfrist. Dieser Hinweis empfiehlt sich in Zeiten sozialer Netzwerke, in Zeiten von Foren, in Zeiten von rund-emails oder Massen-SMS. Die private Weitergabe VOR Ablauf der relativ kurzen Sperrfrist ist damit nur zulässig, wenn die privaten Empfänger auf die Sperrfrist ausdrücklich hingewiesen werden.))

Parchim, den 18. Februar 2012
Christian Worch


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