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Dresden, 13. Februar 2007

Nachricht von:
Christian Worch

Hamburg, den 14. Februar 2007

Man ist es gewöhnt, daß Demonstrationen nicht pünktlich anfangen. Der
diesjährige Trauermarsch in Dresden hatte allerdings eine ungewöhnlich
lange Verzögerung, und das lag nicht etwa an mangelnder Pünktlichkeit
der Teilnehmer oder an schlechter Organisation. Es lag daran, daß die
Polizei – anders als in all den Jahren vorher! – diesmal eine geradezu
peinlich intensive Personenkontrolle aller Teilnehmer durchführte. Das
ging so weit, daß man im Regen den Mantel ausziehen mußte, um sich
abtasten lassen zu können...

Eine solche Behandlung – darf man sie vielleicht schon
„Sonderbehandlung“ nennen?! – kostet natürlich Zeit. Der Zufluß – wie
man es amtlich nennt – war damit schon deutlich behindert. Und ganz zum
Erliegen kam er, als gegen 19.oo Uhr eine ungefähr dreihundertköpfige
Bahnreisegruppe geschlossen eintraf.

Diese wurde nach Angaben des Veranstaltungsleiters mit einer Frequenz
von etwa drei Personen pro Minute durchsucht, was rein rechnerisch 100
Minuten oder beinahe eindreiviertel Stunden ergibt. Der
Veranstaltungsleiter protestierte, und die Polizei sicherte ihm
schnellere Abfertigung zu. Tatsächlich lautete die offizielle Angabe um
20.05 Uhr, daß in einer Viertelstunde, um 20.20 Uhr, die
Kontrollmaßnahmen erledigt sein würden. Stattdessen aber wurden dann
erst einmal mit großem polizeilichen Personenaufgebot noch ein paar
Dutzend bereits „durchgeschleuste“ Leute eingekesselt, wodurch dann die
Teilnehmer beziehungsweise die Teilnehmer und noch nicht
durchgeschleusten künftigen Teilnehmer geradezu dreifag segmentiert
waren. Gleich zwei direkt nebeneinanderliegende Kessel –ältere
Teilnehmer fühlten sich an die letzten Phase des Krieges erinnert, nur
daß glücklicherweise der Einkesselung keine Kesselschlachten folgen.
Wenngleich bei so manchem die Stimmung dafür durchaus vorhanden gewesen
wäre.

Erst um 20.45 Uhr war der letzte Teilnahmewillige im
Versammlungsbereich, und ungefähr um diese Zeit wurde dann
losmarschiert. Daß zwischendurch der Versammlungsleiter Kleber und der
NPD-Vorsitzende Voigt Auftaktreden gehalten haben, hat zumindest der von
der Polizei weit entfernt festgehaltene Teil nicht richtig wahrgenommen.
Oder, wenn er es denn wahrgenommen hat, trotz ausgesprochen
leistungsfähiger Lautsprecheranlage inhaltlich bestimmt nicht verstehen
können.

Diese Handhabung steht natürlich in klarem Gegensatz zum Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit und auch zu Beschlüssen des
Bundesverfassungsgerichts wie dem sogenannten „Brockdorff-Beschluß“, der
eine „exzessive Observation“ von Teilnehmern eine Demonstration
untersagt. Die Aufforderung, die Taschen zu leeren und sich abtasten zu
lassen, wird wohl als „exzessive Observation“ bewertet werden müssen. Ob
künftig in meinem polizeilichen Profil steht, daß Worch an dem Tag wohl
Schnupfen hatte, weil er sowohl in der Hosentasche als auch in der
Jackettasche als schließlich auch in der Manteltasche jeweils ein
Taschentuch – zusammen also drei Stück! – mit sich geführt hat?

Da dieses von einigen Demonstrationen her bekannte häßliche Spiel in
Dresden aus Anlaß eines Trauermarsches wegen der Bombardierung der Stadt
erstmals von der Polizei durchgeführt wurde, steht zu hoffen, daß die
für eine derart wichtige und auch zahlenstark besuchte Versammlung
Verantwortlichen dagegen die nötigen rechtlichen Schritte einleiten.

Auch der Beginn des Marsches gestaltete sich gewissermaßen
hindernisreich. Er bewegte sich nämlich teils im Schneckentempo und
teils gar nicht. Grund dafür war wohl – wenn man dem Polizeibericht
glauben darf - , daß es im Bereich der Synagoge Zusammenstöße zwischen
etwa hundert jüngeren Antifaschisten und der Polizei gab. Während die
Polizei allerdings bei uns mit großem Personalaufwand alle möglichen
Schikanen durchzuführen bereit und imstande ist, scheint es ihr bei
gerade einmal hundert Störern an der „manpower“ oder am Willen oder an
beidem zu mangeln, dagegen vorzugehen. Zweifellos Absicht, und ebenso
zweifellos eine Ungleichbehandlung, die gegen das behördliche
Neutralitätsgebot verstößt, mithin verfassungswidrig ist. Wo soll diese
arme Verfassung eigentlich noch hinkommen, wenn die Polizei
verfassungswidrig handelt?!

Damit wurde der vom Ausgangsort wohl nicht mehr als anderthalb Kilometer
entfernte Ort der Zwischenkundgebung, der Platz vor dem Rathaus, erst
gegen 23.oo Uhr erreicht. Für einen Werktagabend eine eher ungünstige
Zeit. Viele Teilnehmer aus dem Großraum Leipzig, deren letzter regulärer
Zug schon um 22.21 Uhr gegangen war, freuten sich bereits darauf,
gewissermaßen zwangsweise bis kurz nach 4.00 Uhr morgens – Abfahrtzeit
des ersten Zuges – das Dresdner Nachleben zwangsweise genießen zu
müssen. Die Polizei allerdings freute sich auf diesen Genuß anderer
sächsischer Gäste weniger. Sie veranlaßte, daß die Bahn den Zug anhielt
(oder noch extra einen einsetzte, das weiß ich nicht genau), damit diese
Kameradinnen und Kameraden noch eine Rückfahrgelegenheit vor dem frühen
Morgen hatten. Was vor allem die, die am nächsten Tag arbeiten mußten,
wohl gefreut haben wird.

Rein von der Masse her fiel es eigentlich nicht auf, daß die
Zwischenkundgebung aus diesem Grund etwa dreihundert Teilnehmer weniger
hatte als vorher.

Es sprachen Dr. Rose und nach ihm Dipl-Ing. Peter Naumann. Als
kritikwürdig empfanden wohl einige Teilnehmer, daß angesichts der wegen
vorherige Schikanen weit fortgeschrittenen Zeit die Kundgebung nicht ein
wenig gerafft wurde; sie dauerte ungefähr eine Dreiviertelstunde. Da der
Zug trotz weiteren Abflusses von Teilnehmern noch immer beachtlich groß
war, dauerte es natürlich eine Weile, ihn später neu zu formieren; und
auch die massiven Polizeikräfte mußten sich erst einmal formieren. So
zog sich der Beginn des Abmarschs vom Rathaus fast bis gegen Mitternacht
hin. In meiner persönlichen Demonstrationserfahrung war damit dieser
Trauermarsch die erste Demonstration, die sich über Mitternacht hinaus
in die erste Stunde des nächsten Tages erstreckte. (Folgerichtig müßte
man also eigentlich titeln: „Trauermarsch in Dresden am 13./14. Februar
2007“. Was insofern angemessen ist, als der Terrorangriff sich ja auch
über Mitternacht hinaus erstreckt hatte.)

Der Rückweg war ein wenig kürzer als der Hinweg, und er war mit keinen
weiteren Aufenthalten verbunden – die Störer waren wahrscheinlich
schlafen gegangen.

Die Abschlußkundgebung wird dann wohl nur noch aus der Verabschiedung
der Teilnehmer und der Auflösung bestanden haben; meine Reisegruppe hat
dies nicht mehr genau wahrgenommen, weil wir uns nach Erreichen des
Ausgangsortes unmittelbar zu unserem Fahrzeug abgesetzt haben.

Was die Teilnehmerzahl betrifft, so waren es nach meiner Grobzählung
etwa 1.700. (Wegen der unterschiedlich starken Reihen und weil diese
auch allein auflagengemäß nicht geordnet sind, hat eine solche Zählung
immer eine Fehlermarge von plus-minus zehn Prozent oder so.) Die Polizei
sprach in ihrem Bericht von 1.500. Die Leipziger Volkszeitung berichtete
unter Berufung auf nicht näher genannte Augenzeugen von schätzungsweise
1.800. Ungefähr in diesem Rahmen zwischen 1.500 und 1.800 Personen wird
es sich bewegt haben.

An den (verschiedenen) Gegenaktivitäten sollen sich zwischen 2.500 und
5.000 Personen beteiligt haben. Die Polizei nennt als Teilnehmerzahl von
zwei Aufzügen (GEH DENKEN und „Initiative gegen Geschichtsrevisionismus“
insgesamt 4.000.

Daß die Beteiligung geringer sein würde als in den Jahren 2004, 2005 und
2006, hatte vorher schon jeder gewußt; denn in den letzten drei Jahren
hatte der Aufzug jeweils an einem Wochenende stattgefunden und diesmal
an einem Werktag mehr oder minder mitten in der Woche. Gemessen an
vergleichbaren früheren Veranstaltungen (beispielsweise 2002, 2003) war
es damit durchaus eine feststellbare Steigerung.

Soweit allerdings vor allem örtliche beziehungsweise regionale
politische Kräfte die Absicht hatten, das Gedenken würdiger als in den
Jahren zuvor zu gestalten, war davon für den regelmäßigen Teilnehmer der
Dresden-Trauermärsche nicht so sehr viel zu bemerken. Außer vielleicht,
daß nicht im Umzug, aber bei der Zwischenkundgebung eine Vielzahl von
Fackeln entzündet wurden. (Daß es nicht mehr als dreißig waren, lag an
einer behördlichen Auflage; die Veranstalter hatten erheblich mehr in
Bereitschaft gehalten.) Und auch wenn die Rückverlegung des Termin von
einem Wochenende auf den eigentlichen Tag des Terrors, in diesem Fall
also einen Werktag, unter anderem dazu hätte führen sollen, daß eine in
den letzten Jahren erkennbare gewisse Parteilastigkeit der Veranstaltung
vermieden werden sollte, war davon nicht viel zu erkennen. Die
Rednerliste umfaßte ganz überwiegend Funktionsträger oder Angehörige der
Partei beziehungsweise Mitarbeiter ihrer sächsischen Landtagsfraktion,
und auch die Ordner wurden von der NPD gestellt. Also keine große
Änderung gegenüber den letzten zwei, drei Jahren.

Hamburg, den 14. Februar 2007
Christian Worch


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