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Bizarres aus Frankfurt/Oder

Nachricht von:
Christian Worch

Hamburg, den 27. Februar 2007


Bizarres aus Frankfurt/Oder:

Das Polizeipräsidium Frankfurt/Oder ist mit seinem Versuch, die
Halbe-Veranstaltung am 3. März zu verbieten, in erster Instanz
gescheitert. Das ist schon mal die gute Nachricht und für die meisten
Leser das Interessanteste. Aber es gibt noch ein paar
Nebensächlichkeiten, die nicht nur Fachleute interessieren werden. Diese
sind teilweise richtig bizarr.

In seiner Verbotsverfügung trug das PP unter anderem vor, Redner der
Veranstaltungen von März 2006 (Halbe) und November 2006 (Seelow) hätten
sich strafbar gemacht. Dem Anmelder war nur leider nix davon bekannt,
daß entsprechende Verfahren anhängig waren. In zwei Fällen hätte das
eigentlich sogar öffentlich bekannt werden müssen. Denn zwei der
Betroffenen sind Landtagsabgeordnete; Holger Apfel MdL Sachsen und
Birger Lüssow MdL Mecklenburg-Vorpommern. Wenn gegen die ein
Strafverfahren laufen soll, muß erst einmal beim Landtag die Aufhebung
ihrer Immunität beantragt werden, und so was ist immer eine
Pressemeldung wert.

Also machte sich das Gericht die Mühe, bei der Staatsanwaltschaft
nachzufragen, ob dort irgendwelche Anzeigen oder Verfahren vorlägen. Das
war nicht der Fall.

Was taten daraufhin unsere speziellen Freunde vom PP Frankfurt/Oder? Sie
reichten rasch ihre Strafanzeigen nach. Im Falle Seelow nach drei
Monaten, im Falle Halbe nach fast einem Jahr....

Wir zitieren hierzu den Gerichtsbeschluß des Verwaltungsgerichts
Frankfurt/Oder vom 26. Februar 2007 (6 L 60/07):

„Soweit der Antragsgegner die Verbotsverfügung damit begründet, die
Versammlungen des Antragstellers am 11. März 2006 in Halbe und am 18.
November 2006 in Seelow hätten Redebeiträge erhalten, die „in Anwendung
des § 130 Abs. 4 StGB strafrechtlich relevant“ seien, erscheint dies
schon deshalb nicht tragfähig, weild ie zuständigen Staatsanwaltschaften
auf gerichtliche Nachfrage mitgeteilt haben, diesbezüglich in keinem
Fall ein entsprechendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren eigeleitet
zu haben. Daß der Antragsgegner – offenbar jedenfalls als Reaktion, wenn
nicht sogar im Hinblick auf die gerichtliche Anfrage – mit Schriftsatz
vom 21. Februar mitgeteilt hat, er habe nunmehr Ermittlungsverfahren
wegen des Verstoßes gegen § 130 Abs. 4 StGB eingeleitet, verdeutlicht
dies, daß die zunächst vorgenommene Prognoseentscheidung auf einer
unzureichend ermittelten Tatsachengrundlage basierte.“

Darüber hinaus konnte das PP Frankfurt/Oder offenbar noch nicht einmal
einen Kalender richtig lesen. Oder die Kalender mehrerer Jahre. Es
behauptete nämlich ganz frech, der fünfte Sonntag vor Ostern (im
Kirchenjahr Sonntag Reminiszere genannt) falle „in aller Regel“ auf den
Sonntag vor dem 16. März. Nun weiß eigentlich jedes Kind, daß Ostern ein
im Kalenderjahr sehr variables Fest ist. Mal ist Ostern in der ersten
Märzhälfte, mal geht Ostern bis in die zweite Aprilhälfte hinein. Also
kann ein an Ostern gekoppelter Termin nicht „in aller Regel“ auf ein
festes Kalenderdatum fallen. Zu diesem völlig fehlgegangenen Argument
führte das Verwaltungsgericht aus (Beschluß vom 26. Februar 2007, a.a.O.):

„Wie unzureichend die sachliche Grundlage der Verbotsverfügung ist,
zeigt sich auch daran, daß der Antragsgegner behauptet, der Sonntag vor
dem 15. März – seit 25. Februar 1939 nationalsozialistischer
„Heldengedenktag“ – sei „in der Regel“ der Sonntag Reminiscere und,
indem sich der Antragsteller an dem Sonntag Reminiscere orientiere,
knüpfe er an am historischen Ritual des nationalsozialistischen
„Heldengedenken“ an. Der Sonntag vor dem 15. März ist indessen
keineswegs „in der Regel“ der genannten Sonntag im Kirchenjahr.“

(Das Gericht hat hier möglicherweise aufgrund eines Schreibefehlers den
15. – fünfzehnten – März genannt, nicht, wie es richtig heißen muß, den
16. – sechzehnten -.)

Interessant und geradezu eine Ohrfeige nicht allein für das PP
Frankfurt/Oder, sondern sogar für den Gesetzgeber, sind auch die
allgemeinen Ausführungen des Gerichts zur Anwendbarkeit von § 130 Abs. 4
StGB. Dazu meint es nämlich in seinem Beschluß vom 26. Februar 2007
(a.a.O.):

„ Abgesehen davon, daß dieser Straftatbestand in der strafrechtlichen
Kommentarliteratur als „weitgehend unanwendbar“ (Tröndle/Fischer,
a.a.O., § 130 Rn. 40) bezeichnet wird, ist auch insoweit jedenfalls für
eine konkrete Friedensstörunge nichts vorgetragen worden.“

Es ist schon putzig, wenn der Gesetzgeber der BRD ein Strafgesetz
erläßt, das anschließend in der anerkanntesten Kommentierung, dem
sogenannten Standard-Kommentar, als „weitgehend unanwendbar“ bezeichnet
wird. Und noch putziger ist es, wenn auf einer solchen Rechtsgrundlage
ein Polizeipräsidium eine Demonstration verbieten will.

Als einen besonders böswilligen Angriff auf die Rechtsordnung haben wir
auch die – vorsorgliche – Auflage angesehen, daß die erste Strophe des
Deutschlandliedes nicht gesungen oder vom Tonträger abgespielt werden
dürfe. Natürlich wurde auch diese – vorsorgliche – Auflage erfolgreich
angefochten. Das Gericht hinterfragte hierzu die Geschichtskenntnisse,
die im PP Frankfurt/Oder verfügbar sind; in zwar etwas verklausulierter,
aber bemerkenswerter Form. Im Beschluß vom 26. Februar 2007 (a.a.O.) hierzu:

„Setzt man ein Mindestmaß an Geschichtskenntnissen voraus (was zur
Fetstellung einer „herrschenden Anschauung“ unabdingbar erscheint), dann
kann die erste Strophe des Deutschlandliedes jedenfalls nicht
ausschließlich und undifferenziert mit nationalsozialistischem
Gedankengut in Verbindung gebracht oder gar gleichgesetzt werden (vergl.
hierzu etwa Hümmerich/Beucher, NJW 1987, 3227; Spendel, JZ 1988, 744),
wie es der Antragsgegner tut.“

Und um diesem Antragsgegner – also dem PP Frankfurt/Oder – noch ein
klein wenig Nachhilfeunterricht zu erteilen, führte das Gericht dann aus
(a.a.O.):

„Nicht übergangen werden kann bei diesem Befund schließlich, daß
Bundespräsident Dr. v. Weizsäcker seinerzeit betonte, das „Lied der
Deutschen“ bilde als ein Dokument deutscher Geschichte „in allen seinen
Strophen eine Einheit“ (vgl. Bulletin der Bundesregierung Nr. 89, S. 713
a.a.O.). Bundeskanzler Dr. Kohl schrieb für die Bundesregierugn (vgl.
Bulletin der Bundesregierung Nr. 89, S. 713, a.a.O.), der Wunsch aller
Deutschen, die Einheit des Vaterlandes in Freiheit zu vollenden, sei „im
Deutschlandlied“ besonders eindringlich zum Ausdruck gekommen. Nach der
Wiedervereinigung Deutschlands verpflichte auch „das Deutschlandlied“ –
und diese Formulierung heißt doch wohl: das Lied mit allen seinen
Strophen –, für die Menschen in den neuen Bundesländern eine
rechtsstaatliche Ordnung zu verwirklichen.“

Tja, mit der Verwirklichung der rechtsstaatlichen Ordnung scheint das
Polizeipräsidium Probleme zu haben. Wie gut, daß es Gerichte gibt, die
Nachhilfe geben können!

Hamburg, den 27. Februar 2007
Christian Worch


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