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Darf’s radikaler sein?

Nachricht von:
Christian Worch

Hamburg, den 26. Mai 2008

Darf’s radikaler sein?

Über die Frage, ob und wie radikal die NPD sein möchte, konnte der am
24./25. Mai 2008 in Bamburg stattgefundene Parteitag nicht einheitlich
entscheiden.

Notwendig geworden war ein Personalparteitag wegen der Kemna-Affäre. Der
ehemalige Schatzmeister der NPD sitzt seit nunmehr fast vier Monaten in
Untersuchungshaft, weil ihm vorgeworfen wird, die eigene Partei um
627.000 Euro betrogen zu haben. Aus Medienkreisen hörte ich, die
Staatsanwaltschaft habe inzwischen die Anklage gegen Kemna dem Gericht
zugestellt. Zusammen mit der relativ langen Untersuchungshaft spricht
das eher gegen Kemnas Unschuld. Diese Ansicht hat wohl auch Rechtsanwalt
Jürgen Rieger als Leiter der parteiinternen Untersuchungskommission. Er
soll sinngemäß gesagt haben, es gäbe mehr, was gegen Kemna spräche, als
für ihn. Rieger sollte es eigentlich recht genau wissen, denn nach
Abschluß der Ermittlungen und Zustellung der Anklage dürfte er
inzwischen im Auftrag der Partei Akteneinsicht erhalten haben.

Angesichts dieser Situation war es eine völlig richtige Entscheidung der
NPD, den ohnehin vorgesehenen Programmparteitag in einen
Personalparteitag umzuwandeln. Mit anderen Worten: Die Vertrauensfrage
zu stellen. Das galt insbesondere für Udo Voigt. Denn daß Kemna völlig
frei schalten und walten und einen so hohen Betrag ohne jede Kontrolle
hinterziehen konnte, ist kaum vorstellbar. Also müssen
Kontrollmechanismen völlig versagt haben. Wenn so etwas passiert, trägt
in erster Linie der Vorsitzende die Verantwortung. Konsequenzen sind
dann angesagt.

Diese blieben jedoch aus – es trat kein Gegenkandidat gegen Udo Voigt
an, und folglich wurde er mit ca. 90 Prozent der Delegiertenstimmen
wiedergewählt.

Ist das Betriebsblindheit seitens der NPD-Delegierten? Mentale
Einbunkerung? Eine Betonkopfmentalität, wie man sie aus dem
Zentralkomittee der KPdSU kannte, als dessen Durchschnittsalter während
des Kalten Krieges über siebzig Jahren lag?

Nein, nicht unbedingt. Es ist auf mehreren Ebenen logisch. Vernünftige
Zweifel an Kemnas Schuld wird es kaum noch geben. Aber nach
rechtsstaatlichen Prinzipien muß er bis zu einem rechtskräftigen Urteil
als unschuldig gelten. Also läßt sich vorher auch keine Aussage darüber
treffen, ob Udo Voigt mitschuldig oder zumindest (durch
Aufsichtspflichtverletzung) mitverantwortlich ist. Die
Unschuldsvermutung ist eine sperrige Angelegenheit. Aber es ist nicht
prinzipiell schlecht, daß sie auch in der NPD zumindest zeitweilig mal
gilt.

Deshalb wohl wollte niemand gegen den amtierenden und wiedergewählten
Parteivorsitzenden antreten. Ein bißchen wie beim Beamten-Spiel
„Mikado“: Wer sich zuerst bewegt, verliert.

Das heißt natürlich nicht, daß das Problem Kemna damit ausgestanden ist.
Denn sollte er in ein paar Monaten verurteilt werden, wird die Sache
spätestens nach Rechtskraft des Urteils wieder akut werden.

Das weiß sicherlich auch Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der
NPD-Fraktion im Schweriner Landtag und neugewähltes Mitglied des
Parteivorstandes. Er brachte sich für diesen Fall schon einmal in
Position, indem er sinngemäß rügte, es könne ja nicht sein, daß ein
Betrag von mehreren hunderrttausend D-Mark einfach so ohne jede
Kontrolle hin- und hergeschoben werde. Das rief Jürgen Rieger auf den
Plan. Er wandte ein, diese Bemerkung sei Populismus; es habe sich ja um
eine Vielzahl von kleinen Beträgen gehandelt. Nun, eine sehr relative
Sache. Nach Medienberichten sollen die 637.000 Euro in 30 Tranchen
geflossen sein; macht pro Tranche 21.000 Euro im Durchschnitt. Ein
Betrag, den 90 Prozent der Bundesbürger niemals auf ihrem Konto zur
freien Verfügung gehabt haben dürften.... Dann gab es Schlagabtausch auf
offener Bühne, wie es der SPIEGEL bezeichnete. Jürgen Rieger zog vom
Leder und verwies darauf, daß vor zwei Jahren beim damaligen
Bundesparteitag die Fraktionen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen
seine Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden hintertrieben
hätten. Das wiederum bewegte den MVP-Landesvorsitzenden Stefan Köster
(nach anderen Quellen: Udo Pastörs), aus dem Publikum heraus zu rufen:
„Sie lügen, Herr Rieger!“

Stimmung im Saal!

Zu Kaisers Zeiten hätte man deswegen seinen Sekundanten schicken müssen.
Aber es gibt ja keinen Duellkodex mehr.

Vordergründig brachte dieser Schlagabtausch Jürgen Rieger mehr als Udo
Pastörs, nämlich einen Triumpf (gleichfalls aus dem SPIEGEL zitiert).
Während es vor zwei Jahren nur für einen Posten im Vorstand gereicht
hat, wurde er diesmal zu einem der drei stellvertretenden Vorsitzenden
gewählt. Er rangierte dabei nur mit minimalem Abstand zu Holger Apfel
(eine Stimme Vorsprung für Apfel), der seinerseits von Sascha Roßmüller
deutlich getoppt wurde.

Man könnte meinen, daß dies eine Stärkung des radikalen Flügels ist.
Jürgen Rieger wird von den Medien vorgeworfen, bei der parteifreien
1.-Mai-Demonstration in Hamburg dabeigewesen zu sein und nicht
„mäßigend“ auf radikale Demo-Teilnehmer eingewirkt zu haben. (Ein
Vorwurf, der bei gewalttätig verlaufenden linken Demonstrationen
Angehörigen von SPD, JUSOS, Gewerkschaften und so weiter eher selten
gemacht wird. Aber das Messen mit zweierlei Maß ist uralt.) Der
Verfassungsschutz nennt ihn einen „Rassisten“. Und tatsächlich hat
Jürgen Rieger sich zu Rassefragen hin und wieder in einer Weise
geäußert, die heutzutage als politisch unkorrekt gilt.

Gewandelt wurde das Bild dann allerdings durch die Wahlen der Beisitzer
im Parteivorstand. Deren Zahl wurde von 17 auf 15 vermindert. Nicht
unter diesen 15 ist Thomas Wulff; seine Wiederwahl scheiterte. Und
Thorsten Heise wurde zwar wiedergewählt, aber mit dem deutlich
schwächsten Ergebnis; er hatte noch zwanzig Stimmen weniger als der von
unten auf dem zweiten Rang plazierte Ulrich Eigenfeld.

Für die radikalen Kräfte innerhalb der Partei – oder die, die ihnen
zugerechnet werden – also eher eine Art von Pyrrhus-Sieg.

Noch deutlicher wurde das im Umgang mit Kräften, die außerhalb der
Partei stehen und auch eher als ultra-radikal denn als radikal angesehen
werden können.

Es gab wieder einmal eine Erklärung der NPD – diesmal durch ihren
Vorsitzenden – zu den Autonomen Nationalisten (AN), auch bekannt als
„Black Block“ oder „Nationaler Schwarzer Block“.

Die Netzwerkquelle Altermedia gab es folgendermaßen wieder:

Voigt nannte das Auftreten der Autonomen Nationalisten erneut als ein
“von uns nicht gewähltes Erscheinungsbild“. Er bezog sich darauf, dass
die Demonstranten am 1. Mai in Hamburg “die Kommunistenfaust gezeigt”
und “englische Parolen gerufen” hätten. Es gehe zudem nicht an, dass
“deutsche Polizisten” attackiert würden. Deutlich brachte Voigt zum
Ausdruck: „Gewalttätige Wählerschrecks dürften keinesfalls unter der
Fahne der NPD laufen.”

Linke Netzwerkquellen kommentierten das richtigerweise mit: „Ein Schritt
vor –zwei zurück – drei nach vorn!“

Aber damit dürfte der Bruch mit den Autonomen Nationalisten ein
endgültiger sein; ein Wiedereinschwenken wie bei der
Wahlkampfauftaktkundgebung am 15. September 2007 in Hannover erscheint
schwerlich möglich. Und es würde von der anderen Seite auch nicht mehr
akzeptiert werden. Einmal einen Rückzieher machen, ist ein Zeichen von
Vernunft. Das mehr als einmal machen, ist ein Zeichen von
Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit.

Letztlich ist es also ein völliger Schwankungskurs: Ein bißchen in die
Richtung, und dann wieder ein bißchen in die Gegenrichtung.

Irgendwie kennzeichnet das die bisher zwölfjährige Amtsperiode von Udo
Voigt. Es scheint symbolhaft für die Haltung der Partei in verschiedenen
Angelegenheiten zu sein. Ein Ausdruck ihrer Inhomogenität. Auch wenn Udo
Voigt seine Wiederwahl mit rund 90 Prozent der Delegiertenstimmen gern
als Ausdruck der „Geschlossenheit“ ansehen möchte.

Einen offenen Bruch innerhalb der NPD hat es bei diesem Parteitag nicht
gegeben. Aber die Sollbruchstelle ist deutlicher erkennbar als jemals
zuvor. Und mit dem nächsten Personalparteitag ist eher in früherer als
in späterer Zukunft zu rechnen.Die in der NPD schon immer vorhanden
gewesenen inneren Spannungen lassen sich nur durch äußere Erfolge
ausgleichen. (Denn nichts ist anziehender als der Erfolg.) Wie aber aber
bei einer solchen Innenlage nach außen hin Erfolge zu erzielen sein
sollen, das ist mir völlig schleierhaft. Und auch die führenden Köpfe
der NPD werden da nicht mehr anbieten können, als auf den Zufall oder
das Prinzip Hoffnung zu setzen.

Hamburg, den 26. Mai 2008