- zurück zur Auswahl -

Demo Oldenburg 5. Juli 2008

Nachricht von:
Christian Worch

Hamburg, 5. Juli 2008

Demo Oldenburg 5. Juli 2008

Kleine Demonstrationen haben den Vorteil, daß sie eher pünktlich
beginnen können als große. Fast hätten wir es geschafft, Punkt 14.oo Uhr
anzufangen. Nur die Technik machte uns einen Strich durch die Rechnung;
In der Stromversorgung des Verstärkers war ein Wackelkontakt, so daß mit
dem Starthilfekabel improvisiert werden mußte. Also ging es erst zehn
Minuten nach zwei los.

Wäre die Demonstration ein bißchen kleiner gewesen als 60 Mann, hätten
wir es doch noch pünktlich geschafft; denn bei weniger als 50 hätten wir
auflagengemäß ohnehin keine elektroakustische Unterstützung verwenden
dürfen und uns mithin die Notreparatur gespart. Aber war schon besser
mit Lautsprecheranlage, denn mit unverstärkter Stimmkraft Trillerpfeifen
zu übertönen ist doch ein wenig schwierig.

Geträller war nicht das einzige, was die möchtegern-militante Gegenseite
aufzubieten hatte. Es flogen auch gut ein Dutzend Flaschen und Steine
und so eine Art selbstgemachter Nebeltopf. Der war irgendwie ganz
lustig, denn er erzeugte hübschen grünen Nebel; beinahe bühnenreif. Daß
er eine leichte Delle in die Motorhaube des Lautsprecherwagens schlug,
störte nicht weiter: Einsatzfahrzeuge müssen so was abkönnen.

Ähnlich spärlich wie der Bewurf war auch das, was wir an
Gegendemonstranten direkt zu Gesicht bekamen; noch deutlich weniger als
wir. Auf der anderen Seite des Bahnhofs allerdings sollen sich unter
Federführung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zwischen 1.000 und 1.200
Linksbürger, Gutmenschen und ähnliche Leute versammelt haben. (Darunter
laut Presseberichten auch zweihundert Gewaltgeneigte, die von der
Polizei daran gehindert wurden, sich mit Pflastersteinen zu bewaffnen.
Den vom NDR geprägten Begriff „gewaltgeneigt“ finde ich niedlich. Bisher
kannten wir nur gewalttätig oder gewaltbereit; jetzt haben wir mit
„gewaltgeneigt“ eine dritte Kategorie.) Um diese 1.000 oder knapp
darüber Gegendemonstranten zu mobilisieren, bedurfte es laut Auskunft
der städtischen Versammlungsbehörde der Anmeldung von 14 oder gar 16
Gegenaktionen gegen unsere Demonstration. Wahrscheinlich ging das nach
dem Motto „im Dutzend billiger“. Der DGB allein bekommt es also auch
nicht mehr richtig hin, und das in der traditionell linken
Universitätsstadt Oldenburg. Nicht gerade ein Zeichen für einen wirklcih
breiten gesellschaftlichen Konsens gegen rechts, wenn man mal von der
Zahl der offenbar beteiligten Organisationen und Institutionen absieht.

Das Doppelthema der Demonstration „Soziale Gerechtigkeit für alle –
Gegen Politisierung der Polizei“ war für manche auf den ersten Blick
vielleicht nicht völlig verständlich; es klang eher nach zwei
verschiedenen Themen. Aber es wird begreiflicher, wenn man die
Nachrichten der letzten Zeit liest: Steigende Lebensmittelpreise,
Explosion der Benzinpreise (und davon ein guter Teil durch reines
Spekulantentum und nicht durch knappe Rohstoffe oder sonstige
nachvollziehbare Schwierigkeiten), ein Drittel BRD-Bürger, die der
parlamentarischen Demokratie heutigen Zuschnitts nicht mehr zutrauen,
politische Probleme zu lösen. Wenn es mit der Verelendung breiter
Volksschichten so weitergeht, wird es bis zu den ersten Hungeraufständen
nicht endlos lange dauern. Auch nicht im noch relativ reichen Deutschland.

Und da kommt die zunehmend politisierte Polizei mit ins Spiel. Das
wichtigste Herrschaftsinstrument, wenn Verhältnisse zu kippen drohen,
wenn sie mit den gewöhnlichen Steuerungsmechanismen des Staates nicht
mehr so einfach aufrecht erhalten werden können. Oder glaubt jemand
ernsthaft, die Polizei sei nur so martialisch aufgerüstet, um ein paar
tausend „gewaltgeneigte“ Linksextremisten bundesweit in Schach zu
halten? Oder dreißigtausend Rechtsradikale, von denen die meisten wohl
eher inaktive oder mäßig aktive Bürger sind und nicht unbedingt
routinierte Demo-Gänger? Oder glaubt jemand ernsthaft, Innenminister
Schäuble wolle Vorratsdatenspeicherung, den Bundestrojaner und andere
unschöne Scherze aus der modernen Trickkiste, um uns vor bombenlegenden
Islamisten zu schützen?

Damit schließt sich der Kreis zwischen den wachsenden sozialen Problemen
und der zunehmenden Aufrüstung der Staatsmacht.

Redner der Kundgebung am Pferdemarkt waren der Kamerad Dennis Neumann
aus Oldenburg und ich. Axel Reitz hatte wegen Halsentzündung kurzfristig
absagen müssen. Die Demostrecke war ca. 2,2 Kilometer, das Wetter
sommerlich gut.

Christian Worch
 

 

Zur Startseite