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Dortmund - Beschwerdebegründung

Nachricht von:
Christian Worch

Hamburg, den 1. September 2009

Dortmund - Beschwerdebegründung


Liebe Kameradinnen und Kameraden,

wegen starker terminliche Belastung erfolgt die Dokumentation der
einzelnen Rechtsschritte des Dortmund-Verfahrens teilweise etwas spät.
Tut mir leid, kann ich im Moment nicht ändern.

Nachfolgend also die Begründung der Beschwerde, die gegen den
ablehnenden Beschluß des Verwaltungsgerichts eingelegt wurde; die
eigentliche Beschwerde wrude am 24. August eingelegt, die Begründung am
26. August nachgereicht.

Mit besten Grüßen
Christian Worch

 

Anlage:


An das
Oberverwaltungsgericht des
Landes Nordrhein-Westfalen
Agidiikirchplatz 5
48143 Münster





P 211/09 Az. des OVG unbekannt 26.08.2009
Az. des VG Gelsenkirchen 14 L 746/09



In dem Verwaltungsrechtsstreit
Worch (Rain Pahl) ./. Polizeipräsidium Dortmund



begründe ich die eingelegte Beschwerde wie folgt:

Es bestehen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen
Beschlusses, und zudem ist dieser mindestens teilweise divergent zu
Beschlüssen bzw. der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, so dass auch die Divergenzrüge zu erheben ist.

Auf Seite 6 des angegriffenen Beschlusses referiert das VG, dass der
Antragsgegner seine Gefahrenprognose "tragend" darauf stütze, dass "ein
erheblicher Teil der Teilnehmer der für den 5. September 2009
angemeldeten Versammlung Mitglieder des so genannten Schwarzen Blocks
sein werden". Diese Wiedergabe ist falsch. Denn der Antragsgegner selbst
schrieb auf Seite 18 seiner Verbotsverfügung: "Es ist aber davon
auszugehen, dass an der Versammlung am 5. September 2009 in Dortmund aus
den oben genannten Gründen überwiegend Autonome Nationalisten und deren
Sympathisanten teilnehmen werden."

Aus "überwiegend" wird hier beim Gericht also "erheblich". Beide
Begriffe sind nicht synonym. "Überwiegend" heißt im allgemeinen
Sprachgebrauch zwingend "mehr als die Hälfte". "Erheblich" ist eindeutig
ein schwächerer Begriff; im allgemeinen Sprachgebrauch wird als
"erheblich" bei Quantifizierungsmöglichkeit jedenfalls weniger als die
Hälfte verstanden, und zwar je nach sonstigen Umständen möglicherweise
deutlich weniger. Die fehlerhafte Wiedergabe allein weckt schon
erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses.

Sie ist aber auch in sich selbst -- aus Sicht des Gerichts -- unlogisch,
weil der Antragsteller vorgerechnet hat, dass gar nicht 501 (also einer
mehr
als die Hälfte von 1.000) Autonome Nationalisten an der Veranstaltung
teilnehmen können, weil es bundesweit nur 480 gibt. Daher war die vom
Antragsgegner verwendete Formulierung von "überwiegend" aus sachlichen
Gründen nicht haltbar; das Gericht hat diese für den Antragsgegner bzw.
in dessen Interesse auf "erheblich" herabgestuft. Dies kann schwer
angehen. Es ist geeignet, Zweifel an der Unbefangenheit des Gerichts zu
wecken.

Bemerkenswert ist auch, dass das Gericht der ersten Instanz sich nicht
damit auseinandergesetzt hat, dass der Antragsgegner geschrieben hat
"Autonome Nationalisten und deren Sympathisanten". Über die
Gewaltbereitschaft der Sympathisanten von Autonomen Nationalisten ist
nichts vorgetragen und auch sonst nichts ersichtlich. Mangels Vortrags
wird man davon ausgehen müssen, dass die Gewaltbereitschaft von
Sympathisanten der Autonomen Nationalisten, die ja nun keine Autonomen
Nationalisten sind, nicht größer ist als die einer beliebigen
Referenzgruppe, ggfs. einer beliebigen Referenzgruppe von rechtsradikalen
Demonstranten. Beliebige rechtsradikale Demonstranten sind bislang aber
nicht durch besondere Gewalttätigkeit aufgefallen.

Schon der Umstand, dass das Polizeipräsidium Dortmund als Antragsgegner
hier mit einer Vermischung von originären Autonomen Nationalisten und
deren "Sympathisanten", über die keinerlei sicherheitsrelevante
Erkenntnisse vorliegen und die sich auch nicht durch erkennbare Merkmale
oder ähnliches abgrenzen lassen, operiert, verweist die Verbotsverfügung
ins Reich der Mutmaßungen, weil kein Proporz angegeben und dieser nicht
durch Umstände belegt ist. Das Verwaltungsgericht hat es versäumt, sich
damit auseinanderzusetzen.

Zum Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen ist zu
erwähnen: Dieser hat sich schon einmal in einer versammlungsrechtlich
relevanten Einschätzung als irrig erwiesen. Denn aufgrund der unbelegten
Behauptung, der Begriff "Nationaler Widerstand" sei gemeinsames
Erkennungsmerkmal von neonazistisch und rassistisch eingestellten
politischen Aktivisten, ist über Jahre hinweg die Verwendung dieser
Wortfolge per vollziehbarer Auflage untersagt worden, bis der Antragsteller
im Verfahren der Verfassungsbeschwerde hat feststellen lassen, dass diese
Auflage ihn (und alle anderen davon betroffenen Demonstranten) in seinem
bzw. deren Rechten aus Art. 5 GG verletzt.

Hierzu wird Bezug genommen auf den Beschluss des BVerfG vom 19.12.2007,
Az. 1 BvR 2793/04.

Dessen Beiziehung wird beantragt.

Damit muss als evident angesehen werden, dass Einschätzungen des
Landesamtes für Verfassungsschutz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen
keine "Umstände" im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG sind, sondern bloße
Mutmaßungen. Für die Einschätzung einer Sicherheitsbehörde mag dies
angehen, soweit dadurch nicht die Rechte von Bürgern beeinträchtigt
werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist nicht von Gesetzes wegen
gehalten, nur "Umstände" in dem Sinne auflisten, dass es sich um Fakten,
Erkenntnisse und Tatsachen handelt, nicht aber um bloße Vermutungen. Der
Verfassungsschutz darf vermuten und darf seine Vermutungen sogar als
Tatsache ausgeben. Dies geht jedoch nicht an, wenn er damit die Rechte
anderer verletzt; erwähnenswert ist hierbei beispielsweise, dass die
Herausgeber der Zeitschrift JUNGE FREIHEIT erfolgreich gegen unbelegte
Äußerungen geklagt haben, die der Verfassungsschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen über diese Zeitschrift und mithin über ihre
Herausgeber gemacht hat.

Hiermit wird Bezug genommen auf den Beschluss des BVerfG vom 24.05.2005,
Az. 1 BvR 1072/01, zu finden in AfP 2005, 454.

Dessen Beiziehung wird beantragt.

Der Umstand, dass der ursprünglich vorgesehen Versammlungsleiter Dennis
Giemsch sowie die Herren Suhrmann und Deptolla -- unwidersprochenermaßen
-- den Autonomen Nationalisten zuzurechnen sind, ist aber noch lange
kein Beleg dafür, dass ein "erheblicher Teil" der Teilnehmer diesem
"Schwarzen
Block" (synonym für Autonome Nationalisten) angehören wird. Bei
Demonstrationen der NPD wird beispielsweise häufig beobachtet, dass nur
ein Anteil von vielleicht 20 Prozent der Teilnehmer Mitglieder der NPD
sind; die überwiegende Mehrzahl der Demonstranten sind keine Mitglieder,
sondern schließen sich einer Demonstration der NPD vornehmlich deshalb
an, weil sie erstens mit dem Thema übereinstimmen und weil zweitens die
NPD dank gewisser Privilegien, die sie als Partei genießt, über die
Struktur und erforderlichenfalls auch über die finanziellen Mittel
verfügt, diese Demonstrationen zu organisieren und auszugestalten.

Unmaßgeblich ist auch, dass diese Demonstration von anderen Gruppen
Autonomer Nationalisten beworben wird, weil diese allesamt aus
Nordrhein-Westfalen stammen, im engeren Sinne sogar aus dem Ruhrgebiet.
Auch wenn das Ruhrgebiet ein Schwerpunkt Autonomer Nationalisten ist,
heißt dies noch lange nicht, dass alle Autonomen Nationalisten oder auch
nur deren überwiegender (mehr als hälftiger) Anteil im Ruhrgebiet
ansässig sind. Starke Gruppen Autonomer Nationalisten gibt es hiesiger
Kenntnis nach auch in München und Umgebung, in Stuttgart, in Dresden und
Umgebung, in Berlin oder in Niedersachsen. Die Aufzählung ist nicht
vollständig, weil hier keine systematisch gesammelten Erkenntnisse über
Autonome Nationalisten bundesweit vorliegen. Bekannt ist mir nur durch
den Antragsteller, dass die -- durchaus zahlenstarken! -- Autonomen
Nationalisten aus Berlin höchst selten an Demonstrationen teilnehmen,
die weiter als etwa 100 Kilometer von Berlin entfernt sind, und dass dies
bei den Herren Giemsch, Suhrmann und Deptolla schon Unmut hervorgerufen
hat; sie haben beispielsweise dem Antragsteller gegenüber bekundet, dass
sie selbst und viele ihrer Anhänger aus Dortmund daher nicht mehr an
Demonstrationen in Berlin teilnehmen, weil sie es unadäquat finden, wenn
sie ihrerseits die lange Reise auf sich nehmen, ohne dass es zu einer Art
"Gegenbesuch" seitens der Berliner Autonomen Nationalisten bei
Demonstrationen in Dortmund oder generell im Ruhrgebiet kommt.

Auf Seite 8 stellt das Verwaltungsgericht neuerlich auf den Begriff
"erheblich" statt "überwiegend" ab und meint, dass dies nicht maßgeblich
sei. Damit irrt das Verwaltungsgericht. Es entspricht der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass wegen des möglichen
bzw. eventuell sogar dringend zu befürchtenden Fehlverhaltens der
Minderheit nicht das Recht der Mehrheit beschnitten werden darf. Genau
dies aber will das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss
tun; er ist damit divergent zur Rechtsprechung des Höchstgerichts, und
zwar zu dem Brokdorff-Beshluss vom 14.05.1983, Az. 1 BvR 233, 341/81.

Dessen Beiziehung wird beantragt.

Ebenfalls hat das Verwaltungsgericht ausweislich seiner Ausführungen auf
Seite 8 nicht den von dem Antragsteller vorgetragenen Umstand
berücksichtigt, dass geradezu zwangsläufig spontane Demonstrationen
ungeordneter verlaufen als angemeldete Demonstrationen. Der
Antragsteller hat nachvollziehbar und unwidersprochen vorgetragen, warum
dies so ist:
Nämlich weil bei einer angemeldeten Demonstration erstens überhaupt ein
Leiter vorhanden ist (was bei einer Spontandemonstration üblicherweise
nicht der Fall ist), und weil diesem Leiter zweitens ein personelles und
technisches Instrumentarium zur Verfügung steht, mit dem er auf die
Demonstranten einwirken und sie zur Friedlichkeit anhalten bzw.
Unfriedlichkeiten wehren kann. (Mit personellem Instrumentarium sind die
Ordner gemeint, mit technischem Instrumentarium ist elektroakustische
Unterstützung gemeint.) Darüber hinaus ist bei spontanen Demonstrationen
die Polizei entweder überhaupt nicht präsent oder aber zumindest in der
Anfangsphase einer solchen mit eher schwachen Kräften, die dann teilweise
(weil keine Einsatzhundertschaften) nicht einmal über
demonstrationsgeeignete Ausrüstung verfügen, sondern nur über die
Ausrüstung des polizeilichen Einzeldienstes. Es entspricht aber der
Lebenserfahrung, dass schon die Anwesenheit von hinreichend starken
Polizeikräften üblicherweise dazu führt, dass Personen, die in
Abwesenheit von Polizeibeamten möglicherweise rechtswidrige Handlungen
begehen würden, diese in Anwesenheit von Polizeikräften unterlassen.
Wenn vor meiner Haustür ein Streifenwagen mit ein oder zwei
Polizeibeamten steht, darf ich als sicher voraussetzen, dass kein
Einbrecher in mein Haus einbrechen wird; er wird sich eher eines in
einer anderen Straße aussuchen, wo kein Streifenwagen steht. Steht
hingegen vor meinem Haus kein Streifenwagen, dann besteht zumindest die
abstrakte Gefahr, dass bei mir eingebrochen wird.

Völlig widersprüchlich sind die Zitate auf Seite 10 unten und Seite 11
oben des angegriffenen Beschlusses. Hier nehmen Angehörige des
"Nationalen Widerstandes Marl" in einem Antwortbeitrag Stellung, in dem
sie u.a. dezidiert ausdrücken: "... das alles bedeutet allerdings nicht,
grundlos vermummt in einer Stadt zu randalieren." Und nahezu unmittelbar
danach: "Wenn wir angegriffen werden, wir um unsere Rechte, vor allem
die Versammlungsrechte betrogen werden, dann ist es unsere absolute
Pflicht, dagegen einzuschreiten." Und wieder nahezu unmittelbar danach:
"Gewalt sollte grundsätzlich unser letztes Mittelsein. Gewalt als
Ausdruck politischen Engagements lehnen wir ab." Das klingt nun wirklich
nicht danach, als ob da Leute kämen, denen es ausschließlich oder in
erster Linie darum ginge, Gewalt auszuüben. Auch auf der so genannten
"Antikriegstagsseite" steht ausdrücklich: "Was wir nicht möchten: Genau
das, was die Medien uns anzudichten versuchen: Sinnlose Gewalt gegen
Polizisten und Andersdenkende."

Wenn das Verwaltungsgericht auf Seite 11 mittig seines Beschlusses
darauf abhebt, dass ungeachtet dessen sinnvolle, d.h. gerechtfertigte
Gewalt nicht abgelehnt wird, so entspricht das der Gesetzeslage.

Um diesen Punkt zu beleuchten:

Der Antragsteller nahm am Ostersonnabend (11. April 2009) an einer
Demonstration in Lüneburg teil, die von Herrn Christian Sternberg,
Lüneburg, angemeldet wurde. Unter Umständen, die der Antragsteller als
rechtswidrig ansah, löste die Polizei diese Demonstration auf. Der
Antragsteller leistete dagegen bürgerlichen Ungehorsam in Form von
passivem Widerstand; er setzte sich auf die Straße und ließ sich von der
Polizei wegtragen, richtiger ausgedrückt wegschleifen. (Die Narben an
der linken Hand, die er dabei davongetragen hat, sind noch immer
sichtbar, und ich habe sie selbst gesehen.) Die Stadt Lüneburg als
zuständige Behörde im
Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes erließ gegen den Antragsteller einen
Bußgeldbescheid; der Antragsteller erhob dagegen Gegenvorstellungen, und
die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Damit ist evident, dass
der Antragsteller rechtmäßig gehandelt hat, auch wenn die Inhaber des
staatlichen Gewaltmonopols vor Ort dies anders gesehen haben. Aufgrund
der gesetzlichen Vorschriften hätte der Antragsteller sich sogar mit
einfachem Widerstand gegen die Staatsgewalt oder mit einfachem (nicht:
schwerem) Landfriedensbruch statt nur mit "passivem Widerstand" gegen
diese Auflösung zur Wehr setzen dürfen, ohne rechtswidrig zu handeln
oder sich strafbar zu machen.

Den Einstellungsbescheid wird der Antragsteller dem hier angerufenen
Gericht
direkt übermitteln; da er zur Zeit nicht über einen
Telefaxanschluß verfügt und auch ein einscannen und Übermitteln per
e-mail ihm nicht möglich ist, liegt mir im Moment keine Kopie dieses
Einstellungsbescheides vor.

Auf Seiten 11 unten und 12 oben moniert das Verwaltungsgericht, dass sich
weder der Antragsteller noch die bei dem so genannten
Kooperationsgespräch mit dem
Antragsgegner anwesend gewesenen Herren Giemsch und Deptolla von der
berechtigten Anwendung des Notwehrrechtes distanzieren. Bei einer
solchen Ansicht des Gerichts fragt es sich aber, warum der Gesetzgeber
dieses Recht überhaupt in das Gesetz aufgenommen hat. Das Gericht der
ersten Instanz erweckt beinahe den Eindruck, das Gesetz ändern zu
wollen, was dem Gericht nicht zusteht, sondern nur dem Gesetzgeber. Eine
solche Ansicht erkennen zu lassen, weckt gleichfalls ernsthafte Zweifel
an der Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses.

Zum 1. Mai 2009 in Dortmund:

Der Antragsteller hat unwidersprochen vorgetragen, dass aus Anlaß dieser
unangemeldeten und offenbar spontanen Demonstration eine Person verletzt
worden ist.

Es ist schlichterdings unmöglich, dass vierhundert Menschen Gewalt
ausüben oder -- in Abwesenheit der Polizei bzw. bei Anwesenheit von
lediglich anfangs höchst geringen und damit unzureichenden
Polizeikräften -- zumindest gewaltbereit sind und dabei nur eine Person
verletzt wird.

Dies hat das Verwaltungsgericht völlig außer Acht gelassen.

Befremdlich ist, wenn das Verwaltungsgericht auf Seite 12 unten zu
seiner Überzeugungsbildung die örtliche Presse heranzieht. Genau wie der
Antragsgegner darf das Verwaltungsgericht sich bei einer Bestätigung
einer versammlungsbeschränkenden Verfügung ausschließlich auf Umstände
i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG stützen. Medienberichte sind keine Umstände.
Den Charakter eines Umstandes könnten allenfalls Photos oder
Videosequenzen haben. Dies könnte allenfalls noch gelten, wenn ein
Journalist direkter Augenzeuge eines Ereignisses war und darüber in der
Weise schreibt, dass er seine persönlichen Beobachtungen wiedergibt; dann
käme dieser Wiedergabe eine ähnliche Qualität zu wie einer
Zeugenaussage. Von solchen -- hier nicht vorgetragenen -- Fällen
abgesehen, sind aber die Textinhalte von Medienberichten Bewertungen
oder Vermutungen und damit keine Umstände.

Auch hier ist neuerlich auf den Verfassungsschutzbericht des Landesamtes
für Verfassungsschutz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen
zurückzukommen. Denn es ist eine in der Öffentlichkeit bekannte
Tatsache, dass der Verfassungsschutz rund 95 Prozent seiner Informationen
aus öffentlich zugänglichen Quellen erhält und lediglich 5 Prozent durch
Amtshilfe von anderen Behörden oder gar eigene nachrichtendienstliche
Mittel wie Observationen, so genannte V-Leute und so weiter. Von den 95
Prozent seiner Informationen, die er aus öffentlich zugänglichen Quellen
erhält, stammt jedoch der meiste Teil aus den Medien. Also gibt der
Verfassungsschutz Behauptungen von Medien wieder, die damit
gewissermaßen zum "Umstand" geadelt werden sollen, ohne dass sie die
Qualifikation eines Umstandes tatsächlich erfüllen oder zumindest bei
gerichtlicher Prüfung verifizierbar wäre, ob sie nun ein Umstand sind
oder eine Bewertung, die damit eine Vermutung ist und damit eben kein
Umstand.

Auf Seite 14 des angegriffenen Beschlusses erläutert das Gericht der
ersten Instanz, warum es seiner Meinung nach unmaßgeblich sei, dass am 1.
Mai 2008 in Hamburg kein Angehöriger bzw. Teilnehmer der rechten
Demonstration festgenommen worden sei, obwohl diese angeblich "massive
Übergriffe" auf Polizeibeamte und politische Gegner begangen hätten.
Dies ist lebensfremd. Die rechte Demonstration am 1. Mai 2008 befand
sich in der für rechte Demonstrationen durchgängig üblichen (und
rechtlich auch fragwürdigen) eng umschließenden Zugbegleitung durch die
Polizei, die im Volksmund als "Wanderkessel" bezeichnet wird. Es ist
schlichterdings lebensfremd und unvorstellbar, dass eine größere Zahl von
Personen aus dieser Demonstration heraus "massive Übergriffe" zum
Nachteil von Polizisten und Gegendemonstranten durchgeführt haben
sollen, ohne dass davon zumindest einige festgenommen worden sind. Wenn
das Gericht der ersten Instanz die Behauptungen anderer Behörden -- hier
von Polizei und Verfassungsschutz -- trotz Stellung von Beweisanträgen, die
nach objektiven Kriterien diese Behauptungen widerlegen, einfach als
wahr voraussetzt, verstößt das Gericht der ersten Instanz gegen den
Grundsatz der Amtsermittlung und auch gegen den Rechtsgrundsatz
rechtlichen Gehörs, wozu auch die Berücksichtigung von zielführenden und
begründeten Beweisanträgen gehört. Dies weckt gleichfalls ernstliche und
schwerwiegende Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung.

Auch auf Seite 15 widersprich sich das Gericht der ersten Instanz in
seiner Argumentation selbst.

Zunächst eimmal hat der Antragsteller die Pressemitteilung der Polizei
Nienburg/Schaumburg vom 1. August 2009 vorgelegt. In dieser heißt es
wörtlich:

"Von den Einsatzkräften wurden schwarze, auch zur Vermummung geeignete
Kapuzenpullover beschlagnahmt und statt dessen weiße T-Shirts zur
Verfügung gestellt."

Wenn nun argumentiert wird, es sei naheliegend, dass Teilnehmer an einem
Trauermarsch schwarze oder farblich gedeckte (d.h. überwiegend dunkle)
Kleidung trügen, dann müßte man im konkreten Falle noch den Charakter
der am 1. August 2009 in Bad Nenndorf stattgefundenen Demonstration
berücksichtigen. Diese war nämlich mehr eine Protestdemonstration als
ein Trauermarsch. Protestiert wurde damit gegen Folterungen zum
Nachteil von Nationalsozialisten (aber auch vermeintlichen russischen
Spionen) kurz nach Kriegsende durch die britischen
Besatzungsstreitkräfte im so genannten "Winklerbad" von Bad Nenndorf. Dass
die Veranstalter ihren Demonstrationszug als "Trauermarsch" bezeichnet
haben, ist dabei zweitrangig; für die Teilnehmer stand der Protest gegen
diese damals stattgefundenen Folterungen im Vordergrund.

Aber selbst wenn man diesen Aspekt außer Acht lässt, bleibt
festzustellen: Es ist für Teilnehmer einer Trauerveranstaltung eher
unüblich, schwarze Kapuzenpullover zu tragen. Nach den Darstellungen in
dem Pressebericht der Polizei Nienburg/Schaumburg wurden aber
ausweislich der Formulierung offenbar NUR Kapuzenpullover beschlagnahmt
und den Teilnehmern stattdessen weiße T-Shirts zur Verfügung gestellt.
Ungeachtet der Schätzung der Polizei Nienburg/Schaumburg -- die nur eine
Schätzung ist und daher kein wirklicher Umstand -- muss also davon
ausgegangen werden, dass jeder Träger eines weißen T-Shirts, der auf dem
Video der Demonstration zu sehen ist, vorher einen schwarzen
Kapuzenpullover angehabt hat; nicht ein beliebiges schwarzes
Kleidungsstück, das nicht zur Vermummung geeignet wäre, sondern eben
ausdrücklich einen Kapuzenpullover, dessen Kapuze zur Vermummung
geeignet ist. (Oder zumindest in Verbindung mit einem weiteren
Kleidungsstück, einem Halstuch oder ähnlichem.) Dieses Video bzw. dessen
Auswertung und Augenscheinnahme ist aber ein Umstand, im Gegensatz zu
einer Schätzung.

Insofern hat das Gericht der ersten Instanz also einerseits eine
Schätzung, die kein Umstand ist, als wahr unterstellt, andererseits aber
spitzfindig einen tatsächlichen Umstand außer acht gelassen, oder,
richtiger gesagt, die Kombination zweier Umstände: Die Presseerklärung
der Polizei Nienburg/Schaumburg in Verbindung mit der richterlichen
Augenscheinnahme des Videos.

Dies ist eine objektiv falsche Beweiswürdigung.

Auch dies erweckt ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Beschlusses.

Ebenso hat der Antragsteller vorgetragen, es stünde nach dem Vorbild des
Polizeieinsatzes in Bad Nenndorf am 1. August der Polizei Dortmund ja
frei, im Vorfeld der Demonstration Personen, die sie für gewalttätig
hält, an der Teilnahme an der Demonstration zu hindern oder aber durch
Durchsuchung dieser Personen sicherzustellen, dass sie keine technischen
Mittel mit sich führen, die zur Gewaltanwendung denkbarerweise bestimmt,
auf jeden Fall aber geeignet wären, wie beispielsweise Leuchtkugeln,
Knallkörper oder dergleichen. Hiesiger Auffassung nach ist die Polizei
sogar verpflichtet, solche Maßnahmen zu treffen, wenn einzig diese die
Ausübung des Demonstrationsrechts durch die friedliche Mehrheit
ermöglichen.

Gegen den letzten Absatz aus der Sachbegründung, es sei nach alledem
durchaus zu befürchten, dass insbesondere auch die Versammlungsleitung
vor Ort keine Gewähr dafür biete, dass die Versammlung einen insgesamt
friedlichen Verlauf nähme, verwahrt sich der Antragsteller ausdrücklich und
energisch. Er betrachtet dies als persönlichen Anwurf und als einen
Beleg für die Richtigkeit seines Befangenheitsantrages gegen den
Richter, der bei diesem Beschluss als Berichterstatter federführend
mitgewirkt hat. Der Antragsteller hat im Laufe der letzten zehn Jahre
mindestens ein halbes Hundert Demonstrationen geleitet, die teilweise
auch eine Teilnehmerzahl von über tausend Personen hatten, und von
diesen ist keine einzige unfriedlich verlaufen.

Also gibt es weder einen historischen Anhaltspunkt noch lässt sich aus
dem Vortrag des Antragstellers vor der ersten Instanz irgendetwas
entnehmen, das auf Gegenteiliges schließen ließe. Hier hat das Gericht
auch zu Lasten des Antragstellers als Person die Grenzen dessen
überschritten, was in einer Beschlussbegründung noch vertretbar ist. Dies
wird auch nicht gemildert dadurch, dass das Gericht von
"Versammlungsleitung" und nicht "dem Versammlungsleiter" als einzelner
Person gesprochen hat. Denn das Gesetz kennt nur die Rechtsfigur des
Versammlungsleiters, nicht die Rechtsfigur einer Versammlungsleitung,
die aus mehreren Personen besteht. Diese Kenntnis der gesetzlichen
Grundlage muss bei dem Gericht der ersten Instanz als vorhanden
vorausgesetzt werden. Wenn das Gericht der ersten Instanz trotzdem den
unkorrekten Ausdruck der "Versammlungsleitung" benutzt hat, die aus
dem Antragsteller eine Personenmehrzahl macht, hat dies zur Folge, dass
der Antragsteller damit für das Hauptsacheverfahren berechtigten Anlass
zu der Befürchtung hat, die hier beschlussfassenden Richter,
insbesondere der berichterstattende Richter, seien ihm gegenüber befangen.


Für den Antragsteller:


Rechtsanwältin


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