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Bericht Antikriegstag

Nachricht von:
Christian Worch

Parchim, den 6. September 2010

Antikriegstag Dortmund

Auch nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ging die Repression
durch die Dortmunder Polizei natürlich weiter. Als erstes erließen sie --
wie im letzten Jahr! -- die Auflage, daß nur eine stationäre Kundgebung
auf dem Park-and-Ride-Parkplatz Speestraße stattfinden dürfte.
Wahrscheinlich hatten sie von Anfang an darauf abgezielt. Mindestens
aber dürfte es Plan B der Polizei gewesen sein. Oder warum sonst haben
sie es geschafft, den Platz knapp zwei Stunden nach dem Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts mit "Hamburger Gittern" abzusperren, Zelte
aufzubauen und Mobiltoiletten aufzustellen?

Dafür schafften sie es nicht zu verhindern, daß Linksextremisten
zeitweilig die Gleise verschiedener Bahnen blockierten.

Auf diese Nachricht hin zogen ungefähr 500 Teilnehmer es vor, im
Dortmunder Stadtteil Scharnhorst den Zug zu verlassen und sich zu Fuß in
Richtung des Versammlungsbereiches zu begeben. Übrigens nicht in
Richtung Innenstadt, wie die Presse schreibt, möglicherweise aufgrund
von Lügen der Polizei. Mit der Wahrheit nimmt das Polizeipräsidium
Dortmund es ja ohnehin nicht so genau, wie allein schon das Verfahren
vor dem Verfassungsgericht eindringlich beweist....

Die Polizei kesselte die Anreisenden ein, nahm von einem Großteil -- 388
laut Polizeibericht -- die Personalien auf und erteilte ihnen dann
Platzverweis mit der lustigen Begründung, sie hätten an einer nicht
angemeldeten Demonstration (vom Bahnhof bis zum Ort der Einkesselung)
teilgenommen. Die erste Variante, die man den Leuten vor Ort erzählte,
lautete übrigens, sie hätten gegen Auflagen verstoßen. Mißlicherweise
war das so offenkundig falsch, daß es irgendwann auch der Polizei mal
auffiel: Die Leute konnten gar nicht gegen Auflagen verstoßen, weil sie
erstens die Auflagen nicht kannten und weil sie zweitens fünf Kilometer
Luftlinie vom Veranstaltungsort entfernt waren. Also entschied man sich
auch hier wieder für Plan B und stützte die Platzverweise darauf, daß
sie an einer unangemeldeten Demonstration teilgenommen hätten. Nun ist
die bloße Teilnahme an einer unangemeldeten Demonstration aber weder
strafbar noch ordnungswidrig. Strafbar macht sich nur der Leiter einer
solchen Veranstaltung, sofern denn ein Leiter überhaupt identifizierbar
ist. Also waren auch diese Platzverweise reine Willkür, was natürlich
ebenfalls ein juristiches Nachspiel haben wird.

Die andere Hälfte der Versammlungsteilnehmer -- nach polizeilicher
Zählung sollen es 466 gewesen sein, was sich mit meiner Schätzung etwa
deckt -- erreichte den besagten Platz. Die Veranstaltung begann mit
etlicher Verspätung, was nach den turbulenten vorherigen Ereignissen ja
nun wirklich niemanden wundern wird und das Publikum auch nicht weiter
störte.

Der -- sagen wir: seriöse Teil der Kundgebung dauerte bis ungefähr 17.30
Uhr. Ich habe mir nicht die komplette Rednerliste gemerkt. Ein Kamerad
aus Rußland war dabei, einer vom Bulgarischen National-Bund und ein
Brite. Von den Deutschen Veranstalter Dennis Giemsch, Dr. Pierre Krebs,
Gottfried Küssel aus Österreich und ich. Wen ich ausgelassen habe, bitte
ich um Entschuldigung. Zwischendurch hörte wir den Liedermacher
Jan-Peter und erneut die Band "Libertin", diesmal aber offenbar mit
einem anderen Sänger als am Vorabend.

Nachdem der von mir als "seriös" bezeichnete Teil der Kundgebung zuende
war, wanderte der größte Teil der Kameradinnen und Kameraden ab.
Insbesondere den auswärtigen war dies empfohlen worden, auch wenn die
Veranstaltung noch lange nicht offiziell beendet war. Was blieb, war ein
harter Kern von etwa sechzig Jungs und Mädels aus der Region, die sich
bis zum bitteren Ende um 21.oo Uhr vergnügten.

Und vergnüglich war es in der Tat.

Da die vorgesehenen Programmpunkte abgearbeitet waren, wurde
improvisiert. Dies lief darauf hinaus, daß wir die glücklicherweise als
Manuskript vorhandene Rede des Veranstalters ungefähr fünfmal hörten,
jeweils mit anderen Rednern. Einmal wurde sie von Dennis und einem
Kameraden mit dem Spitznamen Grobi in Wechselrede vorgetragen. Wir
fanden die beiden so gut, daß spontan der Gedanke aufkam, man müsse sie
mal als Duo Dennis und Grobi im Fernsehen auftreten lassen. Um eine
Zugabe zu realisieren, verlasen sie dann in Wechselrede auch noch ein
Flugblatt der Aktion Freies Deutschland sowie das Aufruf-Flugblatt für
den nächstjährigen TTDZ, den Tag der Deutschen Zukunft. Versehentlich
kam auch noch die Inhaltsgabe eines Tetrapacks mit Apfelsaft oder einem
anderen Fruchtsaft zum Vortrag... Indes entfaltete Kreativität sich auch
vorlagenfrei. Dennis Giemsch hielt ein kleines Referat über
amerikanische Foltermethoden in Abu Graib, und dabei kam er natürlich
auch auf die berühmt-berüchtigte Menschenpyramide zu sprechen. Nach
kurzer Anleitung bilden dann entsprechend akrobatisch veranlagte
Teilnehmer eine solche, in vier Stufen. Zwar waren die menschlichen
Bausteine der Pyramide nickt nackt und wurden auch nicht von Amerikanern
unter Androhung oder Anwendung von Gewalt dazu gezwungen, aber so konnte
jeder einmal visualisieren, wie so eine menschliche Pyramide in vier
Etaben aussieht. Aber nicht nur in der Hinsicht nahmen die Kameradinnen
und Kameraden aktiven Anteil an der Gestaltung der Versammlung. So
bildeten sie beispielsweise eine Polonaise, die, nachdem sie sich eine
Weile kreuz und quer über das Gelände bewegt hatte, den polizeilichen
Kontaktbeamten und einen Zivilpolizisten im geschlossenen Kreis
umtanzte. Es gab dazu keinen Redebeitrag, aber man darf vermuten, daß
damit auch einmal Polizeibeamten das Erlebnis vermittelt werden sollte,
sich in einem Kessel zu befinden. Überhaupt wurden die Polizisten -- ein
wenig unfreiwillig -- in die an Kleinkunst und Straßentheater erinnernden
Aktivitäten einbezogen. Als gegen 19.00 Uhr der Abbau der Hamburger
Gitter begann, wurde das Hochheben und Wegtragen jedes einzelnen Gitters
mit frenetischem Beifall und teilweise la-ola-Wellen begleitet. Die
sichtlich irritierten Beamten stellten ihre Arbeit zunächst einmal ein;
möglicherweise mußten sie bei ihren Vorgesetzten nachfragen, ob sie sich
diesen offenkundigen Spott zumuten lassen mußten. Sie mußten, denn
alsbald setzten sie ihre Tätigkeit fort, auf die gleiche Weise mit
Applaus bedacht.

Großen Zuspruch bekam auch die politische Pantomime, die aus dem
Stegreif stattfand. Wer immer das Wort richtig erriet, durfte sich als
nächster Pantomimist an einem vom Veranstalter vorgegebenen Begriff
versuchen.

Etwas irritiert war die Polizei, als als Programmpunkt der britische
Kamerad eine nur auf englisch vorliegende Gebrauchsanleitung für
Verstärkeranlagen und ähnliches Musikgerät vortrug, die von Gottfried
Küssel simultan übersetzt wurde. Der dahinterstehende Sinn erschloß sich
ihnen aber alsbald. Weil Gottfried Küssel nicht als Simultanübersetzer
ausgebildet ist, war es naturgemäß eine freie Übersetzung. Und wo der
Hersteller darüber referierte, welche Verstärkeranlage man für innen-
oder Außenbeschallung verwenden solle und für wie viele Menschen welche
Kapazität, übersetzte Küssel dies humorig dahingehend, daß er als
Vergleich den Unterschied zwischen verschiedenen
Faustfeuerwaffen-Kalibern wie 7,65, 9 Millimeter Parabellum oder .45 ACP
heranzog und für welche Art von Ziel welche Art von Kaliber besonders
geeignet sei.

Daß zwischendurch auch das "Feierabend-Lied" -- "denn deinen Feierabend,
Mann in Grün, bestimmen wir!" -- erklang, versteht sich fast von selbst.

Daß wir -- Grüße an den Kessel von Leipzig! -- die Pizzen erst um kurz
nach sieben bestellten, war ein Fehler; beinahe wären sie nicht mehr
rechtzeitig zum Veranstaltungsende gekommen. Fürs nächste Mal sollte man
sich überlegen, ob man das wirklich nur einem Pizza-Service überläßt
oder den Auftrag nicht vielleicht auf zwei verteilt, dann geht es schneller.

Die letzten verbleibenden Polizisten -- zum Schluß kaum mehr als wir
selbst -- werden sich möglicherweise verarscht gefühlt haben. Nun, dann
können sie sich damit trösten: Verarschen können wir uns auch alleine;
aber wenn der Polizeipräsident von Dortmund uns verarscht, dann darf
sich niemand beschweren, daß wir die ihm nachgeordneten Vollzugskräfte
unsererseits verarschen. Sie können sich ja bei diesem Herrn Schulze
beschweren.

Diese letzten dreieinhalb Stunden waren ein durchaus neues Erlebnis.

Wer sagt denn, daß Demonstrationen oder Kundgebungen immer in
verkniffenem Ernst stattfinden müssen?

Gerade da, wo man uns schikaniert, kann Humor die wirkungsvollste
Gegenwaffe sein.

Besonders diese letzte Phase der Kundgebung verdient also großes Lob:
Jungs, Mädels, ihr wart einfach klasse!

Parchim, den 6. September 2010
Christian Worch


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