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Nur eine Frage der Zeit...
 

Nachricht von:
Christian Worch

11. März 2011


Nur eine Frage der Zeit...

Manchmal funktioniert der Rechtsstaat BRD. Nicht immer. Auch nicht immer
öfter. Aber wenigstens manchmal.

Und manchmal ist das auch nur eine Frage der Zeit.

Anfang März wurde mir bekannt, daß ich Anfang Februar ein Verfahren der
Verfassungsbeschwerde gewonnen habe. Es ging um einen Vorfall im Mai
2004, also fast sieben Jahre her. Sieben Jahre Laufzeit für einen
Prozeß, wenn er bis zum Verfassungsgericht gehen muß, ist nicht
ungewöhnlich. Man kann es schon fast als Standard betrachten. Und daß
ich mit einer Verfassungsbeschwerde erfolgreich bin, ist auch nicht so
ungewöhnlich. Zwar nicht unbedingt Standard, aber es passiert öfter mal.

Worum gings denn nun?

Im Mai 2004 sollte in Hamburg eine Demonstration stattfinden, und zwar
mit Auftritt von einigen Rechtsrock-Bands; Thema war natürlich für
Musikfreiheit und gegen Konzertverbote, die es damals noch häufige gab
als heute. Genau deshalb wollte die Polizei auch keinen live-Auftritt
von Bands zulassen und verbot das per Auflage. Ich focht vor dem
Verwaltungsgericht erfolgreich an, oder überwiegend erfolgreich (das
Verwaltungsgericht untersagte das Singen von vier einzelnen Texten wegen
Gefährdung der öffentlichen Ordnung).

Die Polizei mochte sich damit nicht zufriedengeben und legte Beschwerde
ein. Das war, wie in solchen Fällen üblich, ziemlich kurzfristig vor dem
Veranstaltungstermin.

Nun hatte ich einen Mitveranstalter, der die Bands organisiert hatte und
der verunsichert war, ob die Beschwerde der Behörde nicht vielleicht
erfolgreich sein würde. Er zog es daher vor, mit den nun mal verfügbaren
Bands in einem anderen Bundesland ein Konzert zu machen. Deshalb sagte
ich mangels Teilnehmerinteresse gegenüber der Behörde die Veranstaltung
wieder ab. Und deshalb entschied - aus prozessualen Gründen, wie es so
schön heißt - das Oberverwaltungsgericht nicht mehr über die Beschwerde
der Polizei.

Um die Sache für spätere Fälle zu klären, wurde natürlich
Fortsetzungsfeststellungsklage eingereicht.

Das Verwaltungsgericht hatte aber offenbar keine Lust, im regulären
Verfahren die Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns festzustellen.
In solchen Fällen versucht man sich das dann einfach zu machen und
meint, die Klage sei unzulässig, weil keine Wiederholungsgefahr
bestünde. Gegen den Beschluß wurde natürlich Berufung zum
Oberverwaltungsgericht eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht verwarf die
Berufung, so daß die Verfassungsbeschwerde fällig war.

Noch mal kurz zusammengefaßt: Knapp sieben Jahre nach dem damaligen
Ereignis hat letztlich das Verfassungsgericht nunmehr entschieden, daß
die Fachgerichte in der Sache zu entscheiden haben...

Dank der richterlichen Unabhängigkeit - die ja nun auch ein notwendiger
Bestandteil eines Rechtsstaates ist - steht es dem Verwaltungsgericht
jetzt natürlich frei, nachdem die formale Zulässigkeitsfrage gestellt
ist, die Klage in der Sache abzuweisen. Worauf es dann wieder eine
Berufung geben dürfte, und, wenn die nicht erfolgreich ist, wieder eine
Verfassungsbeschwerde, die erfahrungsgemäß häufiger erfolgreich ist als
die leider vorher notwendige Berufung.

Was neuerlich insgesamt knapp sieben Jahre dauern kann...

Man sieht: Es ist zwar nicht immer, aber durchaus häufig möglich, im
Rechtsstaat BRD recht zu bekommen. Man muß nur genug Geduld aufbringen.
Unter Umständen knapp anderthalb Jahrzehnte... Der eine oder andere ist
über solchen Prozessen dann schon hinweggestorben, wobei man bei
politisch aktiven Menschen nicht so genau weiß, ob ein vielleicht etwas
frühzeitiger Tod auch durch den Ärger über diese Besonderheiten des
Rechtsstaates mit verursacht ist. Ich denke hierbei an den Rechtsanwalt
Jürgen Rieger, der in seinem Wunsiedel-Verfahren die (für ihn in dem
Fall negative) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr
erlebt hat, sondern gut einen Monat vorher einem Schlaganfall erlegen ist.

Nun sehe ich in meinem persönlichen Fall da keine so große Gefahr. Ich
werde dieser Tage 55. Auch wenn das weitere Verfahren nochmals rund
sieben Jahre dauern sollte, bin ich bei dessen möglichen Abschluß dann
noch immer ein oder fast zwei Jahre jünger als Jürgen Rieger zu dem
Zeitpunkt, als er seinen Schlaganfall bekam. Beste Aussichten also, das
noch zu erleben. Trotzdem stellt man sich dabei dann manchmal schon die
Frage: Was nützt einem eigentlich der Rechtsstaat, wenn es so eine
kleine Ewigkeit dauert, bis man sein Recht realisiert hat?!

Je mehr Menschen sich diese Frage stellen, desto größer wird die
Staatsverdrossenheit.

Und dann ändert sich vielleicht wirklich etwas.

Eines Tages.

Alles eine Frage der Zeit...


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