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Analyse Sachsen-Anhalt-Wahl
 

Nachricht von:
Christian Worch

Parchim, den 21. März 2011


Die Materialschlacht ist geschlagen, und bei der NPD herrscht
Katerlaune. Zum begehrten Einzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt
fehlten 0,4 Prozent bzw. knapp 10 Prozent der tatsächlich erreichten
Stimmen. Der Traum von einer Achse Dresden - Magdeburg - Schwerin ist
vorbei; für mindestens fünf Jahre, wenn nicht gar für länger. Es wird
als herbe Niederlage gesehen.

Der Block der angeblich demokratischen Parteien sieht es natürlich
umgekehrt, als Sieg für ihr Kartell, als den Triumph des Verstandes über
die Polemik oder gar "menschenfeindliche Einstellungen", wie ein
Linksjournalist es im Untertitel des von ihm privat betriebenen
Internet-Blogs bezeichnet.

Ist es das wirklich?

Und wenn ja, warum?

Zunächst einmal sind 4,6 Prozent Wählerstimmen objektiv gesehen auch
nicht soooo viel weniger als sagen wir 5,1 Prozent. Es ist - prozentual
- noch ein klein wenig mehr, als die NPD auf dem damaligen Höchststand
ihrer Entwicklung bundesweit 1969 hatte. Also schon mal eine ganze
Menge. Einzelne Stimmen aus dem der NPD geschlossen feindlich
gegenüberstehenden Lager weisen darauf sogar mahnend hin, und das Land
Sachsen-Anhalt will neue "Programme gegen rechts" auflegen, damit es
dann beim nächsten Mal weniger wird. Auch in der Alt-BRD gelang es ja
binnen zwei, drei Jahren, die NPD von 4,3 Prozent in den durchgängigen
null-Komma-Bereich zu drücken.

Hinzu kommen Umstände, auf die die NPD keinen Einfluß hatte. Da brennen
zur Zeit in Japan gerade Kernreaktoren durch. So was befördert nicht nur
die GRÜNEN, sondern kann zu der gegenüber 2006 um ca. 7 Prozent höheren
Wahlbeteiligung beigetragen haben. Außerdem gab es da die
"Junker-Jörg-Affäre". Es ist nicht so, daß ich Matthias Heyder für
unschuldig halte und dem völlig unbelegten Verschwörungs-
beziehungsweise Fälschungsgerede der NPD glaube. Da lag halt eine
propagandistische Leiche im Keller, die durch einen Informanten und
einen linken Enthüllungsjournalisten zu einem sehr gut getimten
Zeitpunkt zombiehaft durch die Medienlandschaft zu wandeln begann. Daß
es so eine Leiche überhaupt gibt, fällt in die Verantwortung der NPD.
Wann sie zum Wiedergänger gemacht wird, darauf hat die NPD keinen
Einfluß. Mit so was muß man rechnen und kann es nicht vermeiden.
Zumindest nicht, soweit man solche Altlasten im Keller hat und sich
darauf verläßt, daß der Inhalt "geschlossener Foren" wirklich
vertraulich ist. Wie soll etwas vertraulich sein, was rund 80 Menschen
wissen?!

Objektiv gesehen ist also das relativ knappe Scheitern der NPD in
Hinblick auf den Einzug oder richtiger Nicht-Einzug in Sachsen-Anhalt
ähnlich schlimm oder harmlos wie ein vergleichbares Ergebnis zwei Jahre
zuvor in Thüringen.

Aber Niederlagen entstehen - genau wie Kunst - im Auge des Betrachters;
vor allem im Auge des Betroffenen. Der in unserer
Betroffenheitsgesellschaft genau dann zum Betroffenen wird, wenn er sich
selbst dazu macht. Oder sich von anderen dazu machen läßt.

Es waren nicht andere, die aus der Sachsen-Anhalt-Wahl (anders als vor
knapp zwei Jahren aus der Thüringen-Wahl) eine "Schicksalswahl" gemacht
haben; das war die NPD. Es waren nicht andere, die fest heraufbeschworen
haben, daß diesmal der Einzug in einen weiteren Landtag gelingen würde;
das war die NPD. Die NPD oder zumindest NPD-nahe Kreise lancierten sogar
eine Meldung, nach einer von der CDU in Auftrag gegebenen und von dieser
geheimgehaltenen Umfrage sei mit einem NPD-Ergebnis von 7 oder 8 Prozent
zu rechnen; die NPD habe dies aus "internen Quellen" der CDU erfahren.
Solche Quellen sind natürlich schützenswert und daher geheimzuhalten;
eine bequeme Lösung, um frei erfundene Meldungen nicht belegen zu
müssen. Wenn die NPD eine Wesensnähe zum historisch gewesenen
Nationalsozialismus hat, dann besteht diese zumindest auch in den
berüchtigten "Geisterdivisionen", die in der Endphase des letzten
Weltkrieges in den Köpfen verzweifelter Menschen herumspukten.

Und weil die NPD - nicht zuletzt aufgrund des durchgängigen und starken
äußeren Drucks, unter dem sie steht - nach innen hin Geschlossenheit zum
geradezu sektenhaften Dogma gemacht hat, kursieren natürlich wieder die
üblichen Verschwörungstheorien. Die Opferrolle ist so bequem; sie
enthebt einen der Notwendigkeit zu schonungsloser Analyse und Selbstkritik.

Dabei war der Wahlkampf an sich nicht schlecht. Er war mit einem
angeblichen oder tatsächlichen Kostenvolumen von 260.000 Euro (in einem
Land mit rund zwei Millionen Wahlberechtigten) auch von angemessenem
Aufwand. Vielleicht haben ein bißchen die Impulse gefehlt, die
Flexibilität; gerade in Bezug auf die Japan-Vorgänge. Und die etwas
hilflos wirkenden Leugnungsversuche in Sachen "Junker Jörg" waren bei
politischen Beobachtern gleich welcher Einstellung nicht gerade
überzeugend. So was mag dann das Zünglein an der Waage gewesen sein, das
den Unterschied zwischen 4,6 und 5,1 gemacht hat. Ärgerlich, aber kein
Drama. Sicherlich selbstverschuldet, aber eine Altlast aus den Jahren
2006 oder 2007, einem Zeitpunkt, wo wohl noch niemand abgesehen hat, daß
der Mann gestern fast zum dritten Fraktionsvorsitzenden der NPD geworden
wäre...

Wäre also die NPD eine ganz normale Partei, mit anderen Worten: das, was
sie gern zu suggerieren versucht, wäre gar nichts los.

Zum Drama wird es erst durch die Großmäuligkeit vor einer Wahl und die
anschließenden üblichen hilflosen Versuche, die geschürten Erwartungen
mit der Realität in Einklang zu bringen. Oder umgekehrt.

Einen Beweis dafür liefert uns in einer ersten gestrigen Stellungnahme
der Landesvorsitzende von Baden-Württemberg, Schützinger. Offenbar frei
von Realitätsbezug bekundet er in einem Land, wo die NPD wohl eher Glück
braucht, um auch nur ein Prozent Wählerstimmen zu bekommen: "Was die
politikfähigen Deutschen in Sachsen-Anhalt konnten, nämlich die NPD mit
einem respektablen, die FDP weit überholendem Ergebnis zu wählen, das
können wir Baden-Württemberger doch auch – und vielleicht noch ein
Klitzekleines mehr." Und damit nicht mißverstanden wird, wie dieses
"Klitzekleines mehr" zu verstehen ist - nämlich als den Einzug in den
Landtag von Baden-Württemberg -, beginnt er einen Nachsatz mit den
Worten: "Übrigens: Bei der Landtagswahl am 27. März 2011 wird die NPD
das Überspringen der willkürlich gesetzten und undemokratischen
Fünf-Prozent-Hürde fest ins Auge fassen!"

Da ist die nächste Niederlage vorprogrammiert. Denn sie entsteht
bekanntlich im Auge des Betrachters.

 


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